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Zweites Buch: VI.
stechender culturgeschichtlicher Umschwung kann nicht lediglich durch
Einen bewirkt sein. Und grade in Italien, wo Gerbert zuletzt
lebte, sind die Spuren einer nachhaltigen Wirksamkeit am aller—
wenigsten offenbar. In Rom ist in den ersten Decennien nach
seinem Tode von einem von ihm überkommenen Erbe der
Cultur nichts zu verspüren?); ja der Sinn für dergleichen scheint
nahezu erloschen zu sein. Indessen darf man mit Recht an das
Mangelhafte der Tradition erinnern. Vielleicht waren die,
welche in der ersten Hälfte des neuen Jahrhunderts an den Bil—
dungsstätten in Norditalien wirkten, sei es schon in Rheims, sei
es in Italien, von ihm geschult oder von den durch ihn Ge—
schulten unterwiesen. Vielleicht hat sich sein Einfluß unter der
Decke persönlicher Beziehungen und in Form ausgestreuter Ge—
danken verbreitet: diese mochten da Wurzeln und Zweige treiben,
wo wir seine fruchtbare Thätigkeit nicht ahnen. — Also ist viel—
leicht ihm mitzuverdanken, — wenn gleich beweisende Thatsachen
uicht anzuführen sind —, daß Italien in noch viel höherem Grade
als in dem vorigen Jahrhundert in diesem das Vorlands) der
wvissenschaftlichen Cultur geworden ist.
In Mailand, Parma, Reggio bestanden viel gepriesene blü—
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Anselm's12) (von Canterbury) Jugendgeschichten setzen einen
tüchtigen Unterricht voraus. Und darin wurde (während der
Vorgregorianischen Zeit) die alte Literatur noch mit aller Liebe
gepflegt; der Sinn für das Weltliche blieb dieser wissenschaftlichen
Genossenschaft noch eigen!8). Allein die Neigung zu dem abstract
Rationellen wurde je länger desto mehr, die überwiegende; die
hdeiden letztgenannten großen Italiener fühlten Bedürfnisse dieser
Art als die unverhältnißmäßig stärksten. Demnach scheint es so,
als müsse es vorzugsweise auf diesem Boden zu jenen Turnieren
kommen, in welchen die logischen Kämpfer sich an einander ver—
suchten. Selbst ernste dogmatische Conflicte durfte man vielleicht
erwarten. Indessen davon erfahren wir recht wenig, wohl aber,