95
auf Johannes Scotus Erigena berufen 9), ohne sich nur die Zeit
zu lassen9), das ihm zugeschriebene Buchs) vom Leibe und Blute
des Herrn zu Ende zu lesen, ohne dessen positive Lehre bedin⸗
zungslos genehmigen zu wollen 6). Demnächst beschäftigte ihn,
wie es scheint, das genauere Studium der Controversschriften
des ersten Abendmahlsstreits; und je eifriger er sich demselben
widmete, desto klarer wurde die Erkenntniß, wie die ächt histori—
schen Verhältnisse, unter denen er wirklich verlaufen, von der Un—
kritik gefälscht worden seien. Was man im elften Jahrhundert
als Inhalt der sich stets gleich bleibenden Tradition darzustellen
sich' nicht entblödete, war, wie er nunmehr entdeckte, die Erfin⸗
dung eines in seiner Zeit ganz einsam stehenden) Mönchs, eines
sich selbst widersprechenden ), beschränkten, in einen magischen
Wahnglauben verirrten Kopfes. Damals wußte man an dem
Hofe Carl's des Kahlen, in den Kreisen der Aufgeklärten nicht
anders, denn daß Paschasius Radbertus von der Wahrheit ab—
gefallen, ein wunderlicher Sonderling) gewesen sei. Nur um
des unverdienten Aufsehens willen, welches er erregte, hielt man
für nöthig ihn zurechtzuweisen. Jener durch staatsmännische Ga—
ben nicht weniger als durch erleuchtete Frömmigkeit ausgezeichnete
König — das ist unseres Autors wichtige Entdeckung to) — hat
seinem gelehrten Hofphilosophen den Auftrag gegeben, aus der
heiligen Schrift den Gegenbeweis zu liefern, damit nicht gar etwa
die Thorheit ungebildeter und fleischlicher Menschen obsiege. Also
entstand das dem Titel nach bereits angeführte Buch, das große
Gegenmanifest der Aufklärung gegen die Reaction des finstern
Mönchsgeistes, das Zeugniß von den evangelischen Grundwahr—⸗
heiten gegen grundstürzende Irrthümer, welches lange Zeit ohne
Bedenken gelesen, dessen Lehrbegriff in der Kirche tolerirt iH ist,
bis das sogenannte Concil zu Vercellin) dasselbe zu verdammen
unverschämt genug war. — Seitdem gilt ein neues Dogma oder
bielmehr eine willkürliche neue Meinung wird für das alte aus—
gegeben. Das war allerdings eine Erkenntniß, welche ein wich⸗
Zweites Buch: VIII.