Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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als einen wandelbaren?) entdeckt; die Kirche selbst stellte sich seinem 
durch die tiefsinnigen Ideen Augustin'ss) erleuchteten Geistes-Auge 
als eine erheblich andere dar als den Traditions-Männern sei— 
ner Zeit. Ihm war es gewiß geworden, daß das Katholische 
nicht ausgeprägt sei in dem vorgeblich von Christo gegründeten 
Bau der hierarchischen Ordnungen, dem Organismus sinnlicher 
Anstalten, den synodalen Instituten. Dasselbe haftet nicht an 
dem Amte unabhängig von der persönlichen Beschaffenheit des Trä— 
gers, fällt nicht zusammen mit dem, was man den Gemeinglauben 
nennt, ist nicht da, wo unter diesem Namen der große Haufed) der 
Beamteten ohne Urtheil und Ueberlegung seinen Aberglauben aus— 
prägt, nicht erkennbar in dem, was die zufällige aus Idioten be— 
stehende Mehrheit einer Versammlung proclamirt, welche den 
Titel „Synode“ führtro). Die kritisch betrachtete Geschichte zeigt, 
daß die Mehrheit und die Wahrheit einander fliehen, die Mehr— 
heit und der Irrthum sich zusammengesellenn1). Einst hatten die 
meisten Bischöfe in Nordafricaue), welche in Carthago zusammen⸗ 
getreten waren, sich gegen die Gültigkeit der Ketzertaufe ent— 
schieden; dennoch hat die sich widersetzende Minorität definitiv 
gesiegt; die katholische Wahrheit, von ihr, nicht von jenen ver— 
treten, ist demnächst anerkannt. Und wie verhielten sich zur Zeit 
des Liberius!s) jene beiden Begriffe zu einander, welche man 
meist als Correlata verwendet? — Dieselben waren zu contra⸗ 
dictorischen geworden. Die in der That antikatholische Mehrheit 
verurtheilte eine die katholis che Wahrheit verkündigende Minderheit 
als häretische. Und doch konnte grade diese sich rühmen, die 
Siebentausend zu sein, welche ihre Kniee nicht gebeugt hatten vor 
dem Baalna). Die in damaliger Zeit herrschende Orthodoxie 
war Ketzerei, die vorgebliche Ketzerei die ächte Orthodoxie. — 
Und nach solchen Erfahrungen sollte man ungeprüft anerkennen, 
was das „ehrwürdige“ Concil zu Vercelli eines guten Tages zu 
bestimmen für gut befunden hat, auch wenn es im Widerspruche 
mit dem alten Glauben, der katholischen Wahrheit steht! — Wer 
Zweites Buch: X.
	        
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