Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: XII. 
Was undenkbar ist, ist unmöglich; was nicht als Wahrheit 
gewußt wird, kann durch keinerlei Berufung auf Offenbarung 
dafür erklärt werden; kein Wunder vermag das zur Wahrheit zu 
machen, was nicht Wahrheit ist 11). 
Das ist die principale Antithese Berengar's gegenüber den 
Thesen der Gegner, man kann vielleicht sagen das abstracte Thema 
des ganzen Streites. Nicht als ob darin die Controverse über 
Möglichkeit und Unmöglichkeit des Wunders verdeckt wäre. In 
seinen Schriften findet sich keine einzige Stelle, welche dasselbe in 
Frage stellte. Alle berührten hierher gehörigen biblischen Erzäh— 
ungen werden von ihm mit derselben Sicherheit als historisch 
vorausgesetztn2) wie von den Antiberengarianern. Dennoch 
ist grade an diesem Punkte der Gegensatz auf das Höchste ge— 
spannt: zwei verschiedene Gottesbegriffe liegen mit einander in 
Streit18). In dem einen ist die in sich nothwendige Wahrheit, 
in dem andern die absolute Macht 140) das Primäre. Dem Lehrer 
n Tours schwebt das Schema einer gesetzmäßigen Naturord— 
aung 10) vor; die Anschauung von der relativen Selbständigkeit 
der Welt ist die seinige. Den Feinden gilt die Vorstellung, daß 
Aie letztere in ihrer jeweiligen Beschaffenheit die Setzung des sou— 
veränen göttlichen Willens sei, für ebenso selbstverständlich, wie 
einst dem Paschasius Radbertus 16). An Stelle der Naturgesetze 
waltet die Willkür des Unbedingten 17). Für Berengar ist das 
an und für sich Wahre das Göttliche; den Antiberengarianern 
ist das Göttliche das Wahre: was Gott als Wahrheit zu offen— 
baren beliebt, ist Wahrheit, darum weil es ihm beliebt; folgerecht 
diese ebenso wandelbar wie der absolute gegen allen Inhalt 
gleichgültige Wille. Sie fällt zusammen mit der Autorität 18). 
Schrift-180) und Kirchenlehre20) verkündigt, das Wunder besie⸗ 
gelt dieselbe. Das Organ zu deren Erfassung ist andachtsvolle 
Verehrung, Anerkennung, Unterwerfung 21); alles Dogma ist tran⸗ 
seendentes Mysteriume2), das Licht in der Finsterniß der Ver—⸗ 
aunft der supranaturale Glaube23). — Die Berengarianische Theo—
	        
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