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120 Zweites Buch: XIV. XV.
den Mann von Tours sich verhalten, als dieser geneigt sein ihm
Toleranz zu beweisen. Aber nicht blos dies. Es ist sicher, daß
der Letztere sogar nicht ohne positive Sympathien in dieser Hinsicht
war. Eine räthselhafte historische Anomalie auf den ersten Blick,
aber grade darum in der Geschichte der Hierarchie dieses Jahr—
hunderts eine der anziehendsten Scenen.
XV.
Berengar zählt Hildebrand in jener Streitschrift, welche dar—
auf eingerichtet ist von dem gebildeten Frankreich gelesen zu wer—
den, ganz unbefangen zu denjenigen, welche die Wahrheit erkannt
haben 1). Graf Gottfried von Anjou sagt ihm in einem Privat—
briefe das Nämliche ins Gesicht?). Schon als man erfuhr, er
werde im Jahre. 1054 nach Frankreich kommen, erscholl lauter
Jubel in dem Lager der Aufgeklärtens), man harrete seiner wie
der Erscheinung eines rettenden Engels. Allerdings, sie wurden
enttäuscht; ein rückhaltsloses Bekenntniß der reinen Lehre ward
aus seinem Munde nicht gehört. Nicht aber deßhalb nicht, weil
er irgendwie Zweifel an derselben gehegt hätte; die Berengarianer
waren darin einverstanden, daß der Römische Legat die klare Ueber—
zeugung durch zweideutige Reden verläugnet, das Licht der Auf—
lärung gegen besseres Wissen wieder ausgelöscht habes). Seine
Pilatus-Stellung5) war das vielbesprochene Thema ihrer Klagen.
In der That ein höchst charakteristisches! In Tours waren da—
mals zwei Parteien, die eine wie die andere im Namen der Kirche
cedend, mit dem ächten realistischen Kirchenmann aneinander ge⸗
rathen. Er verstand beide nur zu gut; sie aber nicht ihn. Diese
unduldsamen zudringlichen Aufklärer mit ihrem Dogmatismus
varen dem Meister der praktischen Kirchenpolitik nicht weniger
zuwider als die Fanatiker der Tradition mit dem ihrigen. Soll—
ten die kühnen Projecte, über denen er lange genug gebrütet hatte,