Zweites Buch: XV.
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zur Ausführung kommen, dann mußten — so schien es ihm da—
mals — beide neutralisirt werden.
Die Berengarianer forderten, daß Alles zu Ehren „der Wahr—
heit“ geopfert werde. Eben dies zu thun war Hildebrand im
Begriff. Aber ihm war die Wahrheit nicht zuhöchst ein theolo—
zisches Dogma, sondern das göttliche Recht der Weltherrschaft
der römischen Kirche. Diese hat seiner Ansicht nach allerdings
auch die reine Lehre, „Rom ist unbesiegbar in den Waffen, in
dem Glauben“6); aber dieselbe ist nur ein Consequens, welches
sich aus ihrer allgemeinen übernatürlichen Autorität ergiebt. Nicht
ein bestimmter materieller Gehalt der Lehre war ihm unentbehr—
lich; auf den Stempel der Legalität kam es demjenigen an, wel—⸗
her versicherte, daß dieser Petrinische Sitz niemals geirrt habe,
aiemals irren werde. Was das Dogma angeht, so hätte er sich
gern mit Wenigem begnügt, die Berengarische Doctrin in schwan—
kender Fassung um so lieber gewähren lassen, als sie seinem kla—
ren Verstande mehr zusagen mochte als die seiner Gegner. Aber
darum war sie doch noch nicht seine eigene. Was die damaligen
Aufklärer religiöse Ueberzeugung nannten, kannte er zu wenig.
Die von ihnen so stark betonte Frage war ihm eben keine Ge—
wissensfrage. Ob er bekennen, ob er nicht bekennen sollte, darüber
entschied nicht die individuelle Erkenntniß, sondern das universelle
Interesse der Kirche.
Berengar war ein durch und durch abstracter Doctrinär, ein
Feind aller autoritativen Gewalt; die religiöse Freiheit das Pälla—
dium, für welches er stritt. — Hildebrand verwandte sein kirchen—
politisches Genie wesentlich auf Herstellung absolutistischer Insti—
tutionen. St. Peters Sitz soll gebieten auch über das Gewissen.
Der Eine, welchem die Herrschaft der Vernunft Alles galt,
wollte die Kirche reformiren durch Verbreitung einer weltlichen
Aufklärung, unbekümmert darum, ob jene durch die Differenz der
Freidenker und der Altglaͤubigen zersetzt werde; der Andere,
welchem alles wissenschaftliche Bedürfen zerrann in dem Glauben