Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: XV. 
an die übermenschliche Stiftung, durch Erlösung von der Knechtung 
unter die Weltmächte. Das theokratische Regiment ist erhaben 
über allen Widerspruch der Vernunft. 
Jener war der kritische Forscher, der Fortschrittsmann des 
Gedankens, der Kämpfer für das subjective Recht; dieser der strenge 
Positivist, der allein für die Souverainität des übernatürlichen 
Bottesreichs fechtende Held, alles wählerische Fragen als Empö— 
rung niederzuschlagen berufen. Nicht Meinen, Denken, Grübeln 
führt zur Gewißheit; die gebenedeiete Jungfrau inspirirt sie den 
Flehenden, so lange die Kirche nicht den letzten Spruch gethan hat. 
Nichts zeigt klarer den principalen Gegensatz Beider trotz 
des verhältnißmäßigen Zusammenhaltens als der Hergang auf 
dem Römischen Februar-Concil im Jahre 1079. Wäre die von 
Berengar selbst herrührende Erzählung desselben allseitig richtig 
— und das Wesentliche scheint durch die Aussagen von Männern 
der entgegengesetzten Partei, freilich in kirchenpolitischer Beziehung 
Antihildebrandinern, beglaubigt?) zu werden —: so würde zugleich 
ein Anderes sicher, daß Gregor VII. ein stärkeres dogmatisches 
Interesse für Berengar gehegt hätte, als wir ihm zuzutrauen bis— 
her geneigt sein konnten. Schon im Jahre 1078 soll er das 
Mögliche gethan haben, die Synodalen zur Toleranz zu vermö— 
gens). Als man aber zwölf Monate später abermals zusammen— 
trat, versuchte er sogar einen eigenthümlich starken Druck auf die 
Abstimmung zu üben. Er faßte den Gedanken, derselben durch 
das Orakel der Maria präjudiciren zu lassen; aber er war vor— 
sichtig genug nicht selbst dieselbe zu befragen. Einer der Ver— 
trauten hatte das auf seine Weisung gethan und bald genug die 
Antwort erhalten, man solle bei dem Wortlaut der biblischen 
Lehre verbleiben, gegen welche Berengar nicht verstoßes). Als 
aber dennoch die Majorität auf Verdammung erkannte, zögerte 
er keinen Augenblick sich zu fügen. Als Synodal-Mitglied hatte 
er während der Debatte, wie Berengar erzählt, mit den auf dessen 
Seite Stehenden zusammengehalten. Kaum aber war es constatirt,
	        
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