Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

Zweites Buch: XVI. 127 
gen sei, wisse nur Gott alleinꝰ). Ich stimme nicht bei, meine 
vielmehr, daß das auch der Historiker mit Wahrscheinlichkeit wis— 
sen könne. Unter Verneinung des Rechtes des also formulirten 
Dilemmas ist das bereits gefällte Urtheil aufrecht zu erhalten. 
Aber mag nun das Eine, mag das Andere das ausschließliche 
Motiv gewesen sein, oder, wie ich vermuthe, Beides: keines war 
stark genug, Wollen und Handeln in Harmonie zu bringen. 
Nicht ein männlicher Protest, nicht eine aufrichtige Bekehrung 
haben ihm den Frieden des Gewissens, die Ruhe des Lebens geben 
können. Durch die Marter einer außerordentlichen Demüthigung 
sind die Freibriefe des Papstes 10) erwirkt, welche seine von nun 
an unantastbare Katholicität verkündigten. Die bald nach Schluß 
der Februar-Versammlung vom Jahre 1079 herausgegebene Ge— 
schichte derselben war freilich nicht blos ein ziemlich deutlicher 
Widerruf 11); sie brachte auch in Bezug auf den Ursprung der 
dort zu Stande gekommenen Formel Enthüllungen der bedenklich— 
sten Art; gleichwohl fand man in Rom für gut, das Eine wie 
das Andere wenigstens unmittelbar zu ignoriren. Der einmal 
Freigesprochene durfte unter dem Titel der Orthodoxie als Ein— 
siedler auf St. Come unangefochten leben12) und doch seine al— 
ten häretischen Meinungen festhalten183); er blieb auch in seinen 
letzten Jahren der nämliche Freidenker, welcher er vordem gewe— 
sen war, vielleicht nur ein noch mehr verbitterter. Dagegen die— 
jenige Aufgabe, welche er sich selbst gestellt hatte, war, wenn auch 
nicht lediglich durch seine Schuld, so doch wesentlich durch diese 
oereitelt. Aber darum ist seine Geschichte mit Nichten eine be— 
deutungslose; die Erinnerung an dieselbe hat innerhalb der katho— 
lischen Kirche gleich einem Verhängniß fortgewirkt. Sie brach 
den Zungenmuth, aber nur um die Herzen vieler Tausender um 
so mehr zu empören. Hier sammelten und verdichteten sich die 
Gedanken der Verneinung, um als geheime Ueberlieferung in den 
Generationen der Gebildeten sich zu vererben. Die Aufklärung, 
welche von Berengar die Technik der Zweizüngigkeit erlernt hatte,
	        
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