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Abhängigkeitsverhältniß um, unbekümmert darum, daß er in
diesem Punkte wissenschaftliche Feinde des Christenthums zu Vor—
gängern hattes). Die Seher des Alten Bundes, die Apostel des
Neuen haben — war die Meinung — aus den Werken der helle⸗
nischen Weisen entlehntꝰ). Diese gelten somit als originale, hei—
lige Schriften, als Offenbarungsurkunden primären Werthes;
man darf sie nicht blos mit dem nämlichen, nein, mit noch
höherem Rechte als die biblischen Bücher überall da verwenden o),
wo dogmatische Beweise zu geben sind. Wie könnte man auch
an der Inspiration derselben zweifeln, da z. B. Soerates und
Plato selbst ihre Wahrheitssprüche nicht als ihre eigenen Erfin—
dungen, sondern als Gaben der göttlichen Weisheit rühmen!1)?
Indessen daneben eröffnet sich uns jene andere Perspective
der Religionsgeschichte, welche diesen allgemeinen Supra—
naturalismus erheblich einschränkt. Statt der außerordentlichen
Begnadigungen, welchen die Dichter und Denker des Alterthums
Alles verdanken sollen, was sie Großes geleistet haben, wird
anderswo das natürliche Gottesbewußtsein!2), geweckt durch die
Betrachtung der Welt, gekräftigt durch die reifende Vernunft, als
Quelle der religiös-sittlichen Wahrheit genannt. Ein Verfahren,
welches schwerlich durch die Annahme zu erklären ist, daß eine
Einseitigkeit durch die andere verbessert werden soll. Vielmehr
scheint die Absicht zu sein, die letztere Auffassung als die esoterische
durch eine supranaturalistische zu verdecken. Die alttestamentliche
Weissagung und die apostolische Lehre werden, abgesehen von
jenen zwei Stellen, welche von einer Entlehnung reden, sonst durch—
weg als Wirkungen göttlicher Einsprache dargestellt; die philo—
sophische und poetische Literatur der Hellenen dagegen in jenes
eigenthümliche Zwielicht der Betrachtung gestellt, stets aber der
kanonischen mindestens gleich geachtet. Der Wahrheitsgehalt ist
der nämliche, mag der formelle Ursprung dort übernatürlich, hier
natürlich gewesen sein. Alles Das, was nach allgemeiner Vor—
aussetzung erst durch Christum und seine Sendboten der Welt
Viertes Buch: J.