Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Viertes Buch: XIV. 
gehöre, vielmehr in Bezug auf die höchsten Objecte Leben und 
Wissen Correlatas) seien. Ja wir treffen auf Sätze, welche im 
»ölligen Gegensatze zu allem Bisherigen die Anselmische Princi— 
bienlehre von der Priorität?) des Glaubens im Verhältniß zum 
Wissen auszusprechen scheinen. 
Trotzdem ist diese nicht von unserem Autor nur wiederholt. 
Der Schein der Identität beider Lehrbegriffe schwindet, sobald 
man erwägt, daß hier lediglich Stellen aus Augustins) citirt 
werden, der ursprüngliche Sinn aber umgedeutet wird. „Glau— 
ben“ und „Verstehen“ gelten in der Art, wie oben dargethan ist, 
für synonym, das eine Wort tritt an die Stelle des andern; 
das „Erkennen“ aber, welches auf das eine wie das andere erst 
folgt, gehört nicht dem irdischen Diesseits, sondern dem Jenseits) 
an. Freilich weiß nun überdies Abälard auch von der Aufein— 
anderfolge „Glaube“, „Wissen“ innerhalb dieses Menschenlebens, 
aber lediglich als von einer geschichtlichen Thatsache. Innerhalb 
des Kreises der bisherigen Erfahrungen ist der Autoritätsglaube 
der Unmündigen der Zeit nach das Erste gewesen, ist aber häu— 
fig genug gewichen dem Wissen der Mündigen als dem der Be— 
deutung nach Ersten. Aber in der nunmehr sich ankündigen— 
den Periode der Aufklärung soll vielmehr umgekehrt in dem er— 
wachsenen Christen das unter Kritik und Zweifel zu erringende 
Wissen das der Zeit und der Bedeutung nach Erste werden, der 
Glaube das Zweite10). — Ebenso dürfen uns die zerstreut vor— 
ommenden Aeußerungen über die Herrlichkeit des unmittelbaren 
Glaubens 11) nicht irre führen 12). So bedeutungsvoll dieselben 
immerhin sind, sie können uns doch nur als augenblickliche Be— 
kenntnisse, als Zugeständnisse gelten, von der Macht der That— 
sachen des innern Lebens erzwungen im Widerspruche zu seinem 
principiellen Intellectualismus. Dieser bleibt dennoch das im 
Ganzen und Großen in der Art ihn Beherrschende, daß eine 
klare widerspruchsfreie Würdigung nicht gelingen kann. Er hat 
wohl eine flüchtige Erfahrung von der Seligkeit, welche der Glaube
	        
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