Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

Viertes Buch: XV. XVI. 245 
Christenthums anzubahnen. Allein so anziehend der Gedanke ist, 
die allseitige Würdigung Abälard's wird durch denselben nicht 
erreicht. 
XVI. 
Statt eine sichere Folgerichtigkeit des Denkens demselben zu— 
zuschreiben, hat man vielmehr das Unstäte und Bewegliche in 
ihm in Anschlag zu bringen. Ungeachtet man von einer ge— 
wissen Einheit der Tendenz reden kann, ist dennoch der Verfolg 
derselben kein unbedingt beharrlicher gewesen. — 
Das Problem in Betreff des Verhältnisses des Wissens zum 
Glauben war das aus dem elften Jahrhundert überkommene 
Thema. Indem er dasselbe abermals zu der wissenschaftlichen 
Tagesfrage machte, konnte es scheinen, als gäbe er dem längst 
gefühlten Zuge des Geistes nach. Ja dieser Mann des Fortschritts 
stellte sein Unternehmen gewissermaßen unter den Schutz der Tra— 
dition, indem er die verschiedenen Aussprüche der Väter über 
diesen Punkt nachwies 1). Die wahre Ueberlieferung ist selbst 
widersprechenden Inhalts. Das Thema wurde also nicht durch 
hn, es blieb nur controvers. Und was er als Lösung ankündigte, 
onnte vielleicht um so eher erwarten selbst von den Conservativen 
herücksichtigt zu werden, als er hier und da die Ansicht andeutete, 
es sei das Eine oder das Andere von ihm (nach der Weise unseres 
Lessing) nur Jνιοτινοοα gesagt2). Der schärfer Sehende mochte 
darin immerhin ein strategisches Mittel erkennen und sollte das 
wahrscheinlich. Grade diese eigenthümliche Art von Zurückhaltung, 
velche Bedenkliche beruhigen zu können schien, war andererseits 
für noch viel Mehrere das außergewöhnlich Reizende; vielleicht 
nicht weniger anziehend als das stolz Herausfordernde, das Bittere 
der Polemik. Grade das Ineinanderspielen dieser beiden Elemente 
statt zu verwirren hat vielfach — wie man vermuthen möchte — 
bestochen. Mochte Abälard unter formeller Anerkennung der 
Wahrheit der Dogmen einzelne derselben nach Maßgabe seines
	        
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