Zweites Buch: II. III. 71
So unerschöpflich dieser Redselige in den Herzensergießungen ist,
das Dogma berührt er, abgesehen von dem auf das heilige
Abendmahls) Bezüglichen und von den Warnungen vor Aber—
glauben, nicht häufigto). Die Welt liegt im Argen. Italien
ist ein Chaos der Sünde. Jeder Stand hat Schuld daran; jeder
hekommt seine Lection zu hören, am ausführlichsten der Clerus,
aber auch die Anweisung zum Vollzuge einer Reform: sie soll
durch ein ganz Anderes erwirkt werden, als durch eine verbesserte
Lehre. Die heiligen Kanones, die Disciplin Gottesta), von ihm
selbst inspirirti2), die zu übertreten ein nicht geringerer Frevel ist
als das Verbrechen des Meineids, sind bislang verachtet. Werden
sie wieder beobachtet, so serupulbs, als gelte es der Seele Selig—
keit, so wird es sicher zu einem Umschwung zum Besseren kommen.
Strenge Schulung der Cleriker und der Mönche, Wiederherstellung
der Autorität des geistlichen Amtes in Unabhängigkeit von dem
Staate, Absperrung von der Welt sind die unbedingt wirksamen
Heilmittel; Anfang und Ende aller seiner Paränesen ist die exclusive
Kirchlichkeit. Gelingt es, diese wieder straffer anzuspannen, dann
wird keine Klage mehr zu hören sein. Die Barbarei wird der
Tultur weichen.
II.
Aber diese, meinte vielmehr längst da zu sein — neben der
bisherigen Kirche. Nicht als hätte man diese der Verbreitung
ener Barbarei geziehen, welche wir oben bezeichneten, oder gar
eine antikirchliche Stellung angenommen; die Literaten, welche
sich für Culturträger hielten, ließen sich die Kirchlichkeit ohne Re—
form sehr wohl gefallen. Ihre geistige Heimath war allerdings
eine andere. Sie fühlten und wußten sich vor allem als Lateiner,
hatten aber nichts dagegen, daß sie Christen, christliche Priester
hießen. Man richtete sich behaglich unter dieser Firma ein, um
desto sorgloser die Aerg des neuen Heidenthums1) zu erleben.