86 Bedeutung der Natur für die Religion.
Es kann also nur am Menschen und seiner Schuld liegen, wenn ihm
die Segnungen der Natur nicht zuteil werden. In der Tat ist das die
Grundüberzeugung der gesamten Antike, wenn es auch nicht so lebendig
und so ständig zum Ausdruck kommt wie in Israel. Besondere Heim—
suchungen durch Krankheit oder sonstiges Unglück werden, wie z. B. die
babnmonischen Bußpsalmen oder die römischen Lustrationen und Bitt⸗
gänge zeigen, auf den Zorn einer Gottheit zurückgeführt. Nicht nur der
Blitzschlag, sondern jedes seltsame Vorkommnis in der Natur, Kometen,
Mißgeburten usw. sind bedrohliche Anzeichen und verlangen sorgsame
Beachtung. Insbesondere hat die babylonische Priester-,Wissenschaft“
durch ihre systematische Aufführung aller in der Mantik und in den Pro—
digien sich darbietenden Zeichen künftigen Geschehens sich lange dauern—
den Einfluß erworbenugh.
5. die Teilnahme an der himmelswelt.
Durch die Verstärkung der Tendenzen, die auf die Idee einer sitt—
lichen Weltordnung führen und damit die Keligion zur Gesetzesreligion
gestalten, durch die Idee einer den Menschen einschließenden und auch an
ihm sich durchsetzenden ewigen Ordnung hat die religiöse Betrachtung der
Hhimmelsvorgänge einen wertvollen Beitrag zur Vertiefung des religiösen
Erlebens geleistet. Mit dieser tiefgreifenden Veränderung aber verbin⸗
det sich eine zweite, die ebenfalls von der Vorstellung der Himmelsgötter
ausgeht, die hoffnung auf Teilnahme an der himmelswelt. Daß diese
mit ihrem Cichtglanz etwas ganz anderes, viel Herrlicheres ist als die
irdische Welt, drängt sich dem Beschauer sinnenfällig auf. Die erste Folge
davon ist, daß die Götter, in welcherlei Naturerscheinungen sie auch ur⸗
sprünglich geschaut sein mögen, zu Bewohnern dieser himmelswelt er⸗
hoben und mit ihrem Glanze umkleidet wurden. 3. B. wird in Agypten
Amon, der göttliche Herr von Theben, mit dem Sonnengott KRasso eng
verbunden, daß beide zu einer Person verschmelzen; ebenso werden immer
mehr andere Götter als solare aufgefaßt. In Babylon wird nicht nur
Marduk, sondern selbst die schreckliche Ereskigal, die herrin der Unter⸗
welt, im Verkehr mit den himmlischen gedacht; die Art der Lichtgott⸗
heiten, loderndes Feuer und niederwerfender Schreckensglanz wird mehr
und mehr allen Göttern beigelegt und jeder erhält seinen bestimmten
Standort am himmel. Vielleicht noch stärker durchgeführt ist der Cypus
der Lichtgottheit bei den Indogermanen. So ist in Indien althergebracht
die Auffassung der göttlichen Welt als eines ewigen Lichtreiches im
J 114) Vgl. die eingehenden Darlegungen bei M. Jastrow, Die Religion in
Pabylon und Assyrien (Deutsch 1902ff.).