Bedeutung der Natur für die Keligion.
Neben dieser durch die Königsgewalt repräsentierten Entfaltung
der Idee menschlicher Würde müssen wir noch eine zweite Entwicklungs—
linie verfolgen, die vom Zauberer über den Priester zum Weisen hin⸗
führt. Das primitive Ideal des erkennenden Menschen konnte nur das
des Zauberers sein. Dabei verstehe ich unter Zauber rein formal ein
Hhandeln gemäß der oben dargestellten „alogischen“ Denkweise des primi⸗
tiven Menschen!s3). Dagegen scheint mir die Differenzierung zwischen Zau⸗
berei und Keligion ein Ergebnis späterer Entwicklung zu sein. Es würde
eine sehr reizwolle Aufgabe sein, den geistigen Aufstieg von dem primi—
tiven magischen Denken bis zu wirklichem Erkennen zu verfolgen. Hier
muß ich mich darauf beschränken, ohne genauere Begründung die Sta—
dien, die ich bei Semiten und Indogermanen wahrzunehmen glaube,
anzugeben. Den Ausgangspunkt bildet überall die Kenntnis von Brauch
und Lied, die durch ihre Zauberwirkung dem Menschen eine große
Uberlegenheit geben. Einen großen Fortschritt bedeutet es bereits, wenn
das Opfer und Kitual in den Mittelpunkt der Gedanken tritt, sofern
es jetzt große weltumspannende Mächte sind, deren der Mensch sich
glaubt versichern zu können und mit deren Hilfe er die (als Dämon auf⸗
gefaßten) partikularen Widerstände zu bemeistern hofft. Aber im we—
sentlichen handelt es sich auf beiden Stufen um ein Geheimnis, eine
Welsheit, die verborgen gehalten werden muß. Dieser Art der Erkenntnis
entspricht die Form, in der sie ausgesprochen wird, die Paradoxie und
das Rätsel, wie sie überall der Magie und der Priesterweisheit anhaften.
Mit diesem wichtigsten Wissen verbindet sich von Anfang an allerlei
Weltweisheit in Rechts⸗ und Sittenkunde, Ackerbau und Landvermessung,
Bauwesen, die Kunst des Schreibens usw. Über diese Stufe ist man in der
antiken Welt eigentlich nur in Indien und Griechenland hinausgelangt.
Während die griechische Philosophie auf weite Strecken die Derbindung
mit der Religion löst, bleibt diese in Indien ganz überwiegend erhalten.
Von Hause aus Spekulation, die unbeirrt von dem Vielerlei der Welt die
bestimmte Kichtung auf eine letzte, allumfassende Einheit nimmt, wird
die Eckenntnis doch stets zugleich als religiös beseligende und erlösende
gedacht, die Größeres als Opfer, fromme Werke und Askese zu wirken
oermag. Mag nun dieser Weg der Erkenntnis weit hinausführen über
jede naturgebundene Anschauung, den Ausgangspunkt bildet jedenfalls
die Idee eines einheitlichen Lebenszusammenhanges, das Trachten, den
„Faden der Weltordnung gespannt“ zu sehen. Noch im Buddhismus bil—
det, obwohl er die Spekulation ablehnt, die Idee der sittlichen Weltord⸗
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163) Vgl. oben S.