Full text: Natur und Gott

142 Wissenschaftl. und relig. Weltanschauung in der Geschichte. 
gesteigert, so daß auch die antiken Tugenden im Sinne der Reinigung 
und Verinnerlichung auf eine neue Stufe erhoben und von allen Bezie⸗ 
hungen auf die bürgerliche Gesellschaft gelöst sind. Plotin selbst sprach 
nie über Vaterstadt, Ellern und Zeit seiner Geburt, da er das alles für 
zu irdisch achtete. Dennoch hat er der Weltverachtung der Valenti— 
nianer gegenüber sich für den Optimismus der hellenischen Weltanschau⸗ 
ung eingesetzt. 
Die Sonderart der aristotelischen Gesamtanschauung ist erst in der 
Hochscholastik zur Auswirkung auf christlichem Boden gekommen. Man 
erhält Aristoteles aus Plato, wenn man die „Urbilder“ als „unnötige 
Verdoppelung“ streicht und sich mit den Abbildern in der Sinnenwelt 
begnügt, also statt des Cinen ne ben dem Vielen nur das Eine in dem 
Vlelen gelten läßttu). Damit setzt sich die Anschauung einer unveränder⸗ 
lichen Ideenwelt um in die Anschauung einer wirklichen Welt, in welcher 
die „Formen“ in allem irdischen Wechsel sich unwandelbar gleich erhal⸗ 
ten. Wie der Nus die Formen unmittelbar auffaßt, so das gesunde Sin— 
—ERD Durch dies Zu⸗ 
geständnis an den Empirismus und durch die streng methodische Aus⸗ 
bildung der Physik und Ethik, der Logik und Metaphnsik ist Aristoteles 
der Vater der Wissenschaft geworden. Aber im leitenden Grundgedanken 
ist er Platoniker geblieben. Form, Zweck und bewegende Ursache fallen 
in eins zusammen und werden von der Materie (die freilich isoliert nicht 
vorkommt) gesondert; auf sie allein geht alle Veränderung zurück. Das 
Vernunftmäßige an den Dingen ist durch den Nus, die göttliche Ver⸗ 
nunft, bedingt und kann daher durch die ihr verwandte menschliche Ver⸗ 
nunft erkannt werden. Schon Xenophanes hatte die Notwendigkeit er⸗ 
kannt, die Gottheit als das Eine zu denken und ihr ewigen und unver⸗ 
änderlichen Bestand zuzuschreiben und Anaxagorasie) hatte den Mono⸗ 
theismus astronomisch begründet, indem er die Drehung, „in welcher 
—A gegenwärtig umdrehen“, 
auf eine von der Materie dieser Körper unabhängige, intelligent wir⸗ 
kende Ursache, eben den Nus, zurückführte. Verallgemeinernd denkt Ari⸗ 
toteles die Gotlheit als den, selbst unbewegten, Beweger, durch welchen 
schließlich alle Bewegungen innerhalb des Kosmos (wenn auch auf ver⸗ 
mittelte Weise) bedingt sind. Da die Bewegung in der Gestirnwelt un— 
wandelbar sich selber gleich und in sich zurückkehrend ist, so muß die 
11) Vgl. Cast a. a. O. S. 55. 
12) Vgl. die Analyse von Dilthey in „Einleitung in die Geisteswissenschaf— 
ten“ (Ges. Schriften J 161ff.). Über die Aristotelische Theologie daselbst 212. 
Auch s. das dort abgedruckte wertvolle Sitat aus Cicero de nat. deor. II 37, 95.
	        
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