I
Das Problem.
5
bild des religiössen Glaubens, der in den Lehrbildungen und der kirch—
lichen Praxis seiner Konfession zum Ausdruck gekommen ist, zur Dar—
stellung bringen und verschafft damit, sofern ihm die Lösung seiner Auf—
gabe gelingt, Freunden wie Gegnern dieses Glaubens die wissenschaft—
lich vertiefte Einsicht in diesen heute lebendigen und von seiner reli—
giösen Gemeinschaft wie von ihm selbst vertretenen Glauben. Das
ist eine keineswegs unbedeutende Aufgabe; an dem Kecht, sie mit
den Mitteln der Wissenschaft in Angriff zu nehmen, läßt sich nicht
zweifeln. J
Wie sind denn dann die Unstimmigkeiten, die es zwischen Natur—
wissenschaft und Theologie seit Jahrhunderten gegeben hat, zu beur—⸗
teilen? Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann auf die
Unfertigkeit beider Wissenschaften verweisen, und der Irrtum könnte dann
bei einer der beiden wissenschaftlichen Darstellungen oder wohl auch
auf beiden Seiten liegen; so könnte etwas als Glaubenssatz aufgefäßt
sein, was, genau gesehen, in den inneren Zusammenhang der Glau—
bensgedanken gar nicht hineingehört, oder es könnte eine in ihrem Zu—
sammenhange gut begründete wissenschaftliche Theorie über ihre Gren—
zen hinaus unberechtigt verallgemeinert sein. Derartige Konflikte müß—
ten in demselben Maße aufhören, als beide Wissenschaften sich ihrem
Idealzustande näherten, und böten daher nur ein ephemeres Inter⸗
esse. Möglich wäre ferner ein Konflikt zwischen einer anscheinend gut
begründeten wissenschaftlichen Annahme und einem echten Glaubens⸗
satz einer bestimmten historischen Gemeinschaft. Ein solcher KRonflikt
trat z. B. in den Anfängen wissenschaftlicher Erkenntnis gegenüber den
polytheistischen Glaubensweisen hervor. Denkbar wäre aber ebenso,
daß die wissenschaftliche Theorie (etwa eine pseudowissenschaftliche mate—
rialistische) sich als falsch erwiese und aufgegeben werden müßte. Jeder
—
sprechende Umbildung sei es der religiösen, sei es der wissenschaftlichen
Erkenntnis beendigt werden. Möglich wäre endlich die Annahme, daß
zwischen dem Wesen von Glaubensüberzeugung überhaupt und dem
Wesen naturwissenschaftlicher Methode und Denkart ein unversöhnlicher
Gegensatz statuiert würde. Dann müßte in den Grundvoraussetzungen
des wissenschaftlichen Erkennens oder des religiösen Erkennens ein Feh—
ler stecken. Vom religiösen Standpunkt aus ist allerdings die Annahme,
daß alle Wirklichkeitserkenntnis nur scheinbaren Wert habe, in Wirk—
lichkeit aber trügerisch sei, kaum als zulässig zu betrachten. Denn selbst
bei einer entschiedenen Weltverneinung würde dies Wissen zwar als
Wissen von bloßem Scheinwesen unzulänglich und niedrig, nicht aber