Full text: Natur und Gott

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Renaissance und Reformation. 215 
und eschatologische, auf den Himmel und den Untergang der Welt ge— 
richtete Stimmung im Protestantismus blieb, ihre Kraft wurde der 
pflicht dienstbar gemacht, Gottes Willen in der gegebenen Lebensord⸗ 
nung zu erfüllen. EAls Ciebeswille richtet sich dieser Gehorsam in den 
durch Naturgesetz und soziale Ordnung gegebenen Verhältnissen auf das 
gemeine Beste. Alles, was in Beziehung zum Gesamtwohl steht, kann 
Inhalt des Berufs werden, dessen treue Erfüllung Gehorsam gegen 
Gottes Willen ist. Wie der Dienst der Magd, des Handwerkers, der welt— 
lichen oder geistlichen Herren, so wird selbstverständlich auch die Geistes⸗ 
arbeit zum Beruf, und der Gelehrte dient Gott, wenn er nach Wahrheit 
forscht und erkannte Wahrheit getreu festhält, ausspricht und gegen jeden 
Widerspruch, er komme, woher er wolle, verteidigt. Damit ist die reli⸗ 
giöse Beurteilung der wissenschaftlichen Forschung grundsätzlich eine an— 
dere geworden. Den Alten galt es nicht nur für unnütz, sondern auch für 
gefährlich, im Grunde für irreligiös, noch etwas zu suchen, nachdem die 
christliche Wahrheit da ist. Augustin begehrt nach seinem berühmten 
Worte, Gott und die Seele zu erkennen, sonst nichts, durchaus nichts. 
Wenn es sich um religiöse Erkenntnis handelt, hat er, wird man sagen 
dürfen, zwar nicht ohne Einseitigkeit gesprochen, aber doch die Haupt⸗ 
sache getroffen. Aber der Gelehrte soll nach reformatorischer Aufsassung 
auf seinem Gebiete nicht Gott und die Seele, sondern seinen besonderen 
Gegenstand erforschen; dieser sein Dienst entfremdet ihn nicht Gott, son⸗ 
dern ist selbst Gottesdienst; damit erst ist dem wissenschaftlichen Arbeiter 
das gute Gewissen gegeben. 
Demgemäß läßt sich bei den Keformatoren eine Schätzung auch der 
Naturwissenschaften feststellen. Melanchthon erklärt die Liebe zur Natur— 
betrachtung und das VDergnügen an ihr, auch unter Absehen von allen 
Nützlichkeitsrücksichten, als dem gesunden Sinne angeboren; der mathe⸗ 
matische Unterricht übt, wie er sagt, das methodische Denken, bildet das 
Urteil und gewöhnt den Geist an Beweisführung und Wahrheitsliebe. 
Diese Grundsätze haben ihn auch bei Neugestaltung der Wittenberger 
Studienordnung geleitet. Luther verlangt in der „Schrift an die Rats— 
herren“ das Erlernen der Musica mit der ganzen Mathematica; mit der 
Mathematik lobt er auch die Astronomie ihrer gewissen Demonstrationen 
wegen und glaubt, „daß ein Stern größer ist denn die ganze Welt“. Da— 
gegen verhält er sich gegen die Pseudowissenschaften der Astrologie und 
Alchemie und gegen die Fabeln des Physiologus sehr ablehnend. Adam, 
so meint er, besaß das Buch der Natur und brauchte daher kein anderes 
Buch. Wir aber sind „jetzt in der Morgenröte des künftigen Lebens, denn 
wir fahen an wiederumb zu erlangen das Erkenntnis der Kreaturen, das
	        
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