C. KÖTTGEN, L. GRAETZ UND H. BECKMANN, ELEKTROTECHNIK.
Im Vergleich mit anderen Gebieten der Naturwissenschaft und Technik, deren
Werden oft viele Jahrhunderte rückwärts zu verfolgen ist, kann man der Elektro-
technik nur ein geringes Alter, aber eine desto stürmischere Entwicklung zusprechen.
Die ersten praktischen Anwendungen fand sie in der ersten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts bei der Nachrichtenübertragung und Galvanoplastik. Diese blieben lange
Zeit ihre wichtigste Domäne. Besonders in der Nachrichtenübertragung war sie schon
in ruhige Fortschrittsbahnen eingelenkt, als man versuchte, den elektrischen Strom
auch zu größeren Arbeitsleistungen heranzuziehen. Von diesem Wendepunkt an kann
man die Gebiete des Schwachstromes und Starkstromes unterscheiden. Beide haben
Fortschritte aufzuweisen, die die Welt in Staunen gesetzt haben und wohl nur mit
lenen der Dampfmaschine zu vergleichen sind; dem Zeitalter des Dampfes folgte
das der Elektrizität.
Die Schwachstromtechnik, die um die Jahrhundertwende in eine zweite Blüte-
zeit eingetreten ist, hat im Deutschen Museum in den Abteilungen Physik, Elektri-
zität und Telegraphie würdige Aufnahme gefunden, während die Starkstromtechnik
mit ihren wichtigsten Gruppen, der Erzeugung, Fortleitung, Umwandlung und Ver-
teilung des elektrischen Stromes, gesondert in der Abteilung Elektrotechnik zur Dar-
stellung gebracht ist.
Als das Geburtsjahr der Starkstromtechnik gilt das Jahr 1866, in dem es Werner
Siemens gelang, elektrischen Strom (elektrische Arbeit) in wirtschaftlicher Weise
aus mechanischer Arbeit zu erzeugen. Für die wechselseitige Umwandlung dieser
beiden Energieformen, bei der ein magnetisches Kraftfeld als Mittler erforderlich ist,
wurden vordem Dauermagnete benutzt, deren Stärke und Unveränderlichkeit aber
nicht befriedigen konnten. Siemens ersetzte sie durch Elektromagnete und benutzte
als erster zu ihrer Erregung den von der Maschine selbst erzeugten Strom, nachdem
ar erkannt hatte, daß die im Eisen zurückbleibende Remanenz als Anfangserregung
ausreichte und sich nach wenigen Umdrehungen der Maschine bis zur Grenze der
magnetischen Sättigung steigern ließ. Durch die Entdeckung dieses „dynamo-
sJektrischen Prinzips‘ gelang es, Stromerzeuger zu bauen, die bei gleicher Leistung
um ein Vielfaches kleiner und leichter waren als die bisherigen magnet-elektrischen,
und vor allem, den Stromerzeugern jede beliebige Leistungsfähigkeit zu geben.
Auf dieser Grundlage entwickelte sich die Starkstromtechnik und drang in
ständig zunehmendem Maße in alle Zweige der Technik und des menschlichen Lebens
fördernd und befruchtend ein. so daß sie sich heute überall als unentbehrlicher Helfer
bewährt hat.
Als Anwendungsgebiet des Starkstroms kam zuerst die Beleuchtung, dann in
schneller Folge die Elektrochemie, die Kraftübertragung und die Wärmeübertragung
in Frage. Die Möglichkeit, elektrische Energie mit einfachsten Mitteln und ohne
erhebliche Verluste auf weite Entfernungen fortleiten, beliebig teilen, umwandeln,
aufspeichern und messen zu können, machte sie für diese Zwecke besonders geeignet.
Im Deutschen Museum wird die Entwicklung der Starkstromtechnik in fünf
größeren Räumen zur Anschauung gebracht, die fast zu eng für ihre Bestimmung
ind. Diese räumliche Beschränkung ließ sich auch nur dadurch vertreten, daß alle
Anwendungen der Elektrotechnik wie auch die größte Zahl der Vorläufer der Dynamo-
maschinen den Abteilungen Physik. Beleuchtung, Verkehrswesen usw. überwiesen
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