Full text: Natur und Gott

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Das Werden einer neuen Gesamtanschauung. 239 
noch weiter entwickelt, so führt die immanente Kritik des Kartesianismus, 
wie die mystische Grundvoraussetzung des Systems, von der deistischen 
Gottesidee zur pantheistischen. Schon Descartes hatte Substanz als das 
definiert, welches zu seinem Sein und Gedachtwerden keines Andern be— 
darf, als das absolute Selbständige; er hatte zugestanden, daß, wenn 
man damit Ernst mache, es nur eine Substanz gebe, nämlich Gottes). 
Spinoza bringt hier den Mut zu voller Konsequenz auf und erhält dem— 
gemäß eine einzige Substanz, das absolut unendliche Wesen?s), während 
die endlichen Dinge sich damit begnügen müssen, Affektionen oder Modi— 
fikationen (modi) oder, wie gelegentlich mit aristotelischer Terminologie 
gesagt werden kann, Akzidentien der Substanz zu sein, die ohne Wider— 
spruch als nicht existierend gedacht werden können und sich zur Sub— 
stanz verhalten wie der Punkt zur Linie; man kann beliebige Punkte 
auf ihr denken, aber sie besteht auch, wenn kein Punkt ausgezeichnet 
wird. Alle Dinge als Modifikation erfassen, welche das wahre Sein in 
bestimmter Weise ausdrücken und somit das Wesen jedes Einzeldinges 
als in dem ewigen Wesen Gottes mit Notwendigkeit gegründet erkennen, 
wäre das letzte Ziel der mystischen Intuition, von dem Spinoza weit ent— 
fernt zu sein bekennteso). Diese Notwendigkeit der Dinge folgt daraus, 
daß Freiheit und Notwendigkeit in Gott eins ist, ein (willkürlicher) Wille 
aber, der ein bestimmtes und beschränktes Denken wäre, ihm nicht bei— 
gelegt werden darf. Die Dinge haben also auf keine andere Weise und 
in keiner andern Ordnung von Gott geschaffen werden können, als sie 
geschaffen sind; was in seiner Macht liegt, ist mit Notwendigkeit?s). 
Erscheinen diese Gedanken völlig von der Tendenz einer akosmi— 
stischen Mystik beherrscht, so erhalten sie doch, wie bei Bruno, aber in 
noch verschärftem Maße, durch eine neue Wendung einen naturalistischen 
Zug, der sie von der mittelalterlichen Mystik charakteristisch unterscheidet. 
hatte Descar!es geistige und ausgedehnte Substanzen unterschieden, aber 
nur zu den ersteren eine innere Beziehung Gottes zu finden vermocht, 
so wagt es Spinoza, Geistigkeit und Ausdehnunges?) in gleicher Weise 
als Attribute der unendlichen Substanz zu denken. Es mag dahingestellt 
bleiben, was schwerlich mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob diese 
208) Descartes, Princ. I 51. 
270) Daß dieser Gedanke in der Scholastik vielfach auftritt, wenn auch nicht 
mit gleicher Energie, hat die obige Darstellung gezeigt; vgl. S. 
e80o) Oben s. 196. 229. 
281) 117; vgl. II pr. 49 Coroll. et Schol. 
282) Man darf darin erinnern, daß auch Newton im Anhang seiner Optik 
den Raum als sensorium Got!es bezeichnet, also zu Gott in eine besondere Be— 
ziehung gebracht hat. Vgl. später den Streit von Leibniz und Clarke.
	        
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