Full text: Natur und Gott

262 Wissenschaftl. u. relig. Naturanschauung i. d. Geschichte. 
die Erweckung volkstümlicher, spezifisch christlicher Frömmigkeit von 
größter Bedeutung geworden. Unter dem Eindruck der Macht des Ge⸗ 
fühls und des Genies mußte auch die Geschichtsforschung etwas Andres 
als bisher werden und sich aus einer pragmatischen Darstellung von 
Ereignissen und Meinungen zu einer Geistesgeschichte der Menschheit 
wandeln, in der, wie es Hegel durchführte, der Geist in seiner Abhän— 
gigkeit von der Natur aber zugleich in seiner überragenden Bedeutung 
sich offenbarte; zur tiefsten Kundgebung seines Innern, recht eigentlich 
zur Geschichte des menschlichen Herzens mußte die Keligionsgeschichte 
sich wandeln, die in Gefahr gestanden hatte, zu einer Geschichte des 
Aberglaubens und des Irrtums erniedrigt zu werden. 
Es ist schließlich noch ein letztes Moment der Zersetzung der Auf—⸗ 
klärung zu nennen, das zwar an allgemeiner historischer Kraft und 
Bedeutsamkeit dem eben besprochenen nicht gleichkommt, aber für die 
Geschichte des neueren Denkens ebenfalls konstitutive Bedeutung besitzt, 
die Ausbildung des Kritizismus. Die Aufklärung zeigt sich zwar kritisch 
gegenüber der Tradition, aber durchaus unkritisch gegenüber den eigenen 
Methoden und ihrer Allmacht, und sie teilt diesen Mangel mit den geni⸗ 
alen Bahnbrechern des neuen Gedankens. Auch ein Descartes, hobbes, 
Spinoza und selbst noch Locke und Leibniz sind ganz ebenso wie Koper— 
nikus, Kepler und Newton mit einem unbedingten Vertrauen auf die 
Macht ihrer Gedanken erfüllt. Aber wie wir dagegen bereits eine Reak— 
tion im französischen Skeptizismus wahrnehmen, so im englischen bei 
hume. Mit Locke darin einig, daß aller Wissenschaft die Untersuchung 
über die Funktionen des menschlichen Geistes vorangehn müsse, entnimmt 
er dessen Sensualismus die Konsequenz, daß zwar die Ideen selbst auf 
Impressionen beruhen, aber jene allgemeinen Verhältnisse und Gesetze, 
nach denen wir die Ideen verknüpfen, die Fundamente also aller Ideen⸗ 
assoziationen, rein subjektiv sind, nicht aber notwendige Zusammenhänge 
der Außenwelt wiederspiegeln. Neben dem Substanzbegriff als einem 
(rein illusionären) Substrat unserer inneren Zustände ist es namentlich 
der Kausalitätsbegriff, den er kritisiert. Cine notwendige, unveränderliche 
Derknüpfung a priori zwischen Ursache und Wirkung ist nicht anzuneh⸗ 
men, vielmehr erwarten wir nur, wenn wir ähnliche sinnliche Beschaf⸗ 
fenheiten wahrnehmen, daß ihnen ähnliche Wirkungen, wie wir sie schon 
erfahren haben, entspringen werden; das Prinzip also, welches Ursache 
und Wirkung verknüpft, ist die Gewohnheit. Das höchste Siel menschlicher 
Erkenntnis kann daher nur darin bestehen, die empirisch gefundenen Ur— 
sachen von Naturerscheinungen einheitlich zusammenzufassen und die 
Manniagfaltigkeit der Erscheinungen auf eine möglichst geringe Zahl em⸗— 
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