Full text: Natur und Gott

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Goethes Gesamtanschauung. 
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rulus, sich dies Ziel zu stecken: „Denn bist du erst ein Mensch geworden, 
dann ist es völlig aus mit dir“. 
Eben in dem Geheimnis des Menschen ist auch die Notwendigkeit 
religiöser Betrachtung der Welt am festesten verankert. Gilt schon von 
jeder organischen Einheit der Satz, daß „keine Zeit und keine Macht 
zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt“, so ist vollends nach 
vielfachen Außerungen des Dichters der Geist des Menschen ein Wesen 
ganz unzerstörbarer Natur, ein „fortwirkendes von Cwigkeit zu Cwig— 
leit, so daß der Mensch, um Unendlichkeit zu finden, nur in sich selbst 
zu gehen hat, wo er ein ganzes Universum findet“. „Unfühlend ist die 
Natur“ und „alle die andern armen Geschlechter der kinderreichen leben⸗ 
digen Erde wandeln und weiden in dunklem Genuß und trüben Schmer— 
zen des augenblicklichen beschränkten Lebens, gebeugt vom Joche der 
Notdurft“. Dem Menschen aber und ihm allein ist als eine schöne, un— 
verwelkliche Göttin Phantasie gegeben und ihre ältere Schwester, die 
edle Treiberin, Trösterin, Hoffnung; er allein kennt das „selbständige 
Gewissen“, als Sonne seinem Sittentag; ihm gilt darum die Cosung, 
edel zu sein, hilfreich und gut; in seinem Busen wohnt ein Streben, sich 
einem „höheren, Reinen, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hin— 
zugeben, enträtselnd sich den ewig Ungenannten“; er kann sich „dem 
Cinen“ widmen, der Offenbarung der Gott-Natur, dem Heiligsten, das 
‚heut und ewig die Geister, tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger 
macht“. Gemäß den Gewohnheiten seiner Jugend schwebt auch dem alten 
Goethe eine „Art Urreligion“ vor, der Standpunkt der reinen Natur und 
Dernunft, während er doch auch den Standpunkt des kirchlichen Christen⸗ 
tums als notwendige Anpassung an die Schwäche der menschlichen Na— 
tur tolerierts). In den Jahren seines scharfen Gegensatzes gegen das 
Christentum hat er geliebt, sich (wie es auch F. H. Jacobi seinem „Ver— 
stande“ nach tat) als „heiden“ zu bezeichnen. Indes ist nach Heinessss) 
treffendem Urteil dies Heidentum „wunderbar modernisiert. Seine starke 
heidennatur bekundet sich in dem klaren scharfen Auffassen aller äußern 
Erscheinungen, aller Farben und Gestalten, aber das Christentum hat 
ihn zugleich mit einem tieferen Verständnis begabt, und trotz seines 
Sträubens hat es ihn eingeweiht in die Geheimnisse der Geisterwelt. Er 
hat vom Blute Christi genossen und dadurch verstand er die verborgensten 
Welt“ (W. 3, 73 ff.). Anfang von „Aniikes“ in der Schilderung Winkelmanns 
W. 46, 22. 
395) Eckermann S5. 642. 
396) Zitiert nach Julian Schmidt, Goethes Stellung zum Christentum, Goethe— 
Jahrbuch Bo. 2 (1881) 8. 62.
	        
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