316 Das physikalischechemische Weltbild.
eine Allgemeinheit der Formgebung, welche gestattet, alle Naturgesetze
in genau gleicher Weise zu umfassen, insbesondere Mechanik und
Elektrodynamik und schließlich selbst die Gravita: ionslehre aus ihrer bis—
herigen Isolierung zu einem umfassenden Ganzen zu vereinigen. ühn—
lich wie die Gesamtheit der Fehlschläge, ein Perpetuum mobile zu kon—
struieren. im Energieprinzip zum Ausdruck kommt, so die Gesamtheit
der negativ verlaufenen Versuche, eine absolute Bewegung oder eine
Überlichtgeschwindigkeit aufzuweisen, im Relativitätsprinzip. Es be—
hauptet, es sei physikalisch unmöglich, eine gleichförmige Bewegung des
Beobachters mit seinem Beobachtungsbereich im Weltraum oder die
Gleichze tigkeit von Bewegungen in verschiedenen derart bewegten Sy—
stemen des Weltraums zu definieren, nachzuweisen und zu bestimmen;
selbst der Rotationsbewegung wird ihr absoluler Charakter abgesprochen.
Diese anscheinend rein methodologische Haltung des Prinzips führt es
in die Nähe erkenntniskritischer Betrachtungen, insbesondere zu tiefgrei—
fender ünderung der gewöhnlichen Auffassung von Raum und Zeit und
zur Verschmelzung beider im Begriff der vierdimensionalen Raumzeit—
welt als der eigentlichen Wirklichkeit. Andererseits ist das Prinzip mit
dem gegenwärtigen Stande der physikalischen Forschung so eng ver—
bunden, daß ein Verständnis für seine Tragweite sich erst ermöglichen
läht, wenn wir den heutigen Stand der Forschung entwickelt haben; wir
begnügen uns daher hier mit dieser vorläufigen Orientierung.
Auch das Relativitätsprinzip, das doch alle Gebiete der Physik zu
umspannen beansprucht, findet eingestandener Maßen seine Grenze an
den eigentümlichen Vorgängen, die sich im Innern der Atome und Mole—
küle abspielen. Offenbar ist es die Eigenart dieser Vorgänge, worauf
auch die bei aller Zusammengehörigkeit physikalischer und chemischeres)
Betrachtungsweise bestehende Unterschiedenheit beider Gebiete, die keines—
wegs nur konventionell ist, beruht. Die Physik rechnet vorwiegend mit
stetig veränderlichen Größen; dagegen verlaufen die chem schen Verände—
rungen großenteils ausgesprochen unstetig und heben sich vielfach durch
die Plötzlichkeit und Heftigkeit ihres Verlaufes oder durch augenfällige
Diskontnuitä en der Aggregatzustände, Wärmeerzeugung, änderung der
Farbe und dgl. voneinander ab. Demgemäß ist das Hauptinstrument
zur Bewältigung der physikalischen Probleme, die Rechnung mit den un⸗
endlich kleinen Unterschieden, auf chemischem Gebiete nur sehr begrenzt
28) UÜber Geschichte und Hauptgebiete der Chemie orientiert in gemeinver—
ständlicher Weise die von E. v. Meyer hersg. „Chemie“ in der „Kultur der Gegen—
wart“, III, 3, Bo.2; über ihren Zusammenhang mit der Physik vgl. W. Nernst,
Theoretische Chemie 93, in 8-10. Aufl. 22.
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