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Befruchtung und Entwicklung. 431
Um die Vereinigung der Keimzellen zu erreichen, werden Mittel der
verschiedensten Art angewendet. Spermatozoen werden in verschwende—
rischer Fülle produziert; die Eier scheiden Stoffe aus, die als chemische
Keize auf sie wirken, z. B. die Moose Kohrzucker, die Farne Apfelsäure,
und indem diese Stoffe sich im Wasser ausbreiten, wo die Samenfäden
schwimmen, zwingen sie diese herbei. Während so die Keimzellen selbst
durch Chemotaxis“n) zueinander getrieben werden, sind Erregungen von
Nervenzentren die Ursache für die Paarung in der höheren Tierwelt'e).
Bei den Blütenpflanzen werden entweder Pollen in großem Überfluß
hervorgebracht, um die Befruchtung zu sichern oder es greifen die wun—
derbarsten Beziehungen Platz zwischen der Farbenentwicklung, dem Duft
und der honigabsonderung der Blumen und der Tätigkeit der Insekten,
die vom Honig leben und unwillkürlich zu Vermittlern der Vereinigung
von Samen und Ei werden.
Das größte Rätsel liegt indes nicht in den Tatsachen der Sexualität
oder des Befruchtungsvorganges, sondern darin, daß eine (befruchtete
oder unbefruchtete) Keimzelle die Potenz in sich birgt, ein Individuum
gleicher Art mit dem elterlichen zu entwickeln. Die einzelnen Typen der
Organismenwelt sind Einheiten, von denen jede einen besonderen Bau—
und Entwicklungsplan repräsentiert, und jede nimmt von einer einzelnen
Keimzelle ihrer Art ihren Ausgangspunkt. Allerdings sind auch alle
durch gemeinsame Grundzüge ihrer Entwicklung und ihres Baues mit—
einander verbunden. Alle gehen von der Zelle aus und haben auch in ihr
das gemeinsame Organisationsprinzip. Fast alle vielzelligen Tiere stim—
men auch während der ersten Stadien ihrer Entwicklung's), während
der Befruchtung, der ECifurchung und der Bildung der zwei ersten Keim—
blätter in allen prinzipiell wichtigen Punkten überein. Die Keimblätter
runden sich zu einer ovalen oder kugelförmigen Blase, aus der durch
Einstülpung sich ein Becher bildet, die als Ausgangsform fast aller
71) Vgl. oben S. 413.
z2) Siehe Darwins Ausführungen über geschlechtliche Zuchtwahl.
13) Die umfassendste Darstellung der Individual-Entwicklung (Ontogenese)
bietet O. Hertwigs handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungs—
lehre der Wirbeltiere 1901/06. Kürzere Zusammenfassung bieten Triepel, Lehrb.
d. Entwa. gesch. 1917. — O. Hertwig, Die Elemente d. Entw. lehre d. Menschen
und der Wirbeltiere 6. A. 1920. Vgl. auch O. Hertwig, Dokumente zur Geschichte der
Zeugungslehre 1918. Behandelt werden die Probleme der Entwicklungsgeschichte
vorzüglich in den betreffenden Abteilungen der Zool. Jahrb., hersg. v. S. Becher
(3. 3. 50 Bände) und der Seitschr. f. d. ges. Anatomie (beachte Abt. III. Ergebnisse),
sowie in „Wilh. Roux' Archiv f. Entwicklg. mechanik. d. Organismen“, jetzt hrsg.
v. h. Spemam u.. a. G. 3. 105 Bände).