Das Leben und seine Formen.
weiteren Entwicklungen bekannte Gastrula. Cine große Anzahl von Tier⸗
klassen, darunter die Wirbeltiere, bilden gleich in den Anfangsstadien
der Entwicklung noch ein drittes Keimblatt, das sich zwischen die beiden
andern schiebt. Das äußere Keimblatt begrenzt die Hautoberfläche des
Körpers, das innere Keimblatt den verdauenden Hohlraum (Urdarm),
das mittlere die nachträglich von diesem abgesonderten Leibeshöhlen.
fus diesen Keimblättern läßt sich durch die Variation weniger allge—
meiner Formbildungsgesetze die ganze Fülle verschiedenster Organbil-—
dungen ableiten. 3. B. entwickeln sich Gehirn und Rückenmark aus einem
verdickten Streifen des äußern Keimblatts, der sog. Medullaplatte, die
sich durch Zusammenneigen der Medullafalten allmählich zu einer Kinne
einbiegt und dann zum Rückenmarkrohr schließt. Diese Entwicklung ist
darum besonders merkwürdig, weil nur bei niedern Tieren das Zentral—
nervensystem einen Teil der Haut bildet, dagegen bei höheren Tieren
die embryonale Anlage durch allmähliche Einfaltung und Abschnürung
von der Haut ins Innere verlagert werden muß. Man findet darin
vielfach einen Hinweis auf die einstige Stammesentwicklung, weil ja
das Zentralnervensystem die Beziehungen zur Außenwelt zu vermitteln
hat, also sein Zusammenhang mit der Haut als primär gelten darf.
Berühmt sind unter den vielen analogen Fällen besonders die die
menschliche Entwicklung betreffenden, die ich mit den Worten eines so
hervornagenden Kenners wie R. Hertwig bbeschreibe?): „Auf frühen
Entwicklungsstadien besitzt der Embryo des Menschen überraschende
Ähnlichkeiten mit den niedersten Wirbeltieren, den Fischen; er hat, wie
diese, Kiemenspalten, ein einfaches, aus Vorkammer und Kammer be—
stehendes herz, anstatt der Sonderung in Aorta und Pulmonalis Rörper⸗
und Lungenarterien) einen einheitlichen Arterienstil mit davon ausge⸗
henden, die Derbindung mit der Aorta descendens vermittelnden Arte-
rienbögen.“ Es wäre verfrüht, wollten wir uns —V
tiven Folgerungen, die aus den hier vorliegenden Analogien gezogen
sind und insbesondere der Diskussion des sog. biogenetischen Grundge—
setzes zuwenden. Vorerst genügt uns die Feststellung der Tatsache, daß
Embryologie und vergleichende Anatomie eine große Fülle von Über—
einstimmungen, z. T. überraschender Art in dem Aufbau und der Ent⸗
wicklungsgeschichte sehr verschiedener Tierarten aufgezeigt haben. Ebenso⸗
wenig bezweifeln läßt sich die Tatsache, daß trotz aller anscheinenden
oder wirklichen Ahnlichkeiten der Embryonalformen verschiedener Tiere
alle diese Formen prinzipiell verschieden sind und ein bestimmtes Ge—
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) Rich. hertwig, Lehrbuch der Zoologie, 12. Aufl. 1919, 8. 44.