Full text: Natur und Gott

528 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
lich die Schönheit der Natur, ihre Farbenpracht, ihren Formenreiz, den 
süßen Duft, den Wohlgeschmack auf den Schönheitssinn der Tiere zurück— 
geführt. So vieles gegen diese Theorie spricht, so ist gewiß Farbensinn 
und Tongefühl bei manchen Tieren anzunehmenso); auch darin, daß 
das Tier spielt, zeigt sich ein geistiger Trieb, durch den es sich dem Men— 
schen nähert. Indes fehlt es ihm, wie Wundtsi) treffend formuliert, an 
einer planmäßigen einheitlichen Verknüpfung der Vorstellungen und da— 
mit an der erfinderischen, freien Tätigkeit der Phantasie, welche die 
Grundlage des künstlerischen Schaffens bildet. 
Daß das hochstehende Tier in gewissem Umfang sein Interesse auf⸗ 
zufassen und zu vertreten vermag, ward schon anerkannt; seine 3wecke 
halten sich notwendig im Bereiche seiner Triebe, aber da diese immer 
abgestufter und differenzierter werden, ist es wohl denkbar, daß das 
Tier bestimmte konkrete Siele auch über den Drang des Augenblicks 
hinaus im Auge behält und verfolgt. Ebensowenig darf die Bedeutung 
der sozialen Instinkte und Triebe verkannt werden, die auch beim Men⸗ 
schen eine unentbehrliche Grundlage seiner Betätigung bilden. Immer 
aber muß im Auge behalten werden, daß jedes Handeln nach allge— 
meinen Grundsätzen oder gar nach Ideen, wie es in der Schöpfung und 
Beachtung von Sitte, Recht und Religion seinen allgemeinmensch— 
lichen und einfachsten Ausdruck findet, über das an Tieren Beobachtete 
durchaus hinausgeht. Es ist aber ohne weiteres deutlich, daß die Be— 
ziehung zum Übersinnlichen eine Abstraktionsfähigkeit und geistige Po— 
tenz bekundet, für die kein Tier die Voraussetzung bietet. Wenn früher 
die Annahme nicht selten war, es müsse gelingen, ein Stadium rein 
tierischen Lebens des Menschen aufzudecken, so ist diese Crwartung durch 
die prähistorische Forschung enttäuscht worden. Es ist allerdings wahr, daß 
die Selbstunterscheidung des Menschen vom Tiere und das spezifisch 
menschliche Selbstbewußtsein erst die Frucht einer langen geistigen Ent⸗ 
wicklung ist, in der speziell der Keligion eine wichtige Rolle zufielee), 
aber der Keim dazu, die Bewußtheit der Lebenseinheit in einer Klar— 
heit und Energie, wie sie kein Tier auch nur annähernd besitzt und, 
eben in dieser Klarheit begründet, die Fähigkeit zur Sachlichkeit, zum 
Gewinn einer Erkenntnis der Dinge und ihres Zusammenhanges, gehört 
zum Menschen, soweit Geschichte, Ethnologie und Prähistorie ihn zu— 
rückzuverfolgen vermögen. 
An dem Menschen der Diluvialzeit vermögen wir bereits die ge⸗ 
80) Dgl. oben S. 476; 517 Anm. 55. 
s1) A. a. O. s. 428 ff. 
82) Pgl. oben s. 58f. 96. 
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