Full text: Natur und Gott

558 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
heitliche Großhirnrinde als Organ der psycho-physiologischen Funktionen 
zu denken haben, wobei gewisse Sphären, unter denen als hervor— 
ragender Knotenpunkt das Stirnhirn in erster Linie zu nennen sein wird, 
je nach den Umständen abwechselnd prävalieren. 
Alle genauere Präzisierung der Zusammenhänge wird von den 
psychischen Tatbeständen ausgehn müssen, für welche anatomisch-phy⸗— 
siologische Unterlagen gesucht werden. Über die reine Empfindung als 
Bauelement alles geistigen Lebens ist schon Genügendes gesagt worden; 
die Lokalisation ihrer physiologischen Komponente in den Zellen der 
Ursprungsstätten ist unbestritten. Nicht ebenso sicher ist, worin diese 
„reine“ Empfindung besteht; daß sie dem ‚Keize“ nur in sehr bedingter 
Weise korrespondiert, ist bekannt; sicher ist auch, daß der physiologische 
Vorgang mehrere Erregungskomponenten (gemäß der Zahl der betei— 
ligten Zentren) enthätt, die aber gleichwohl ein heitlichempfunden 
werden. Diese Verschmelzung zeigt sich auf höherer Stufe in der Bewe— 
gungsempfindung sowie in jeder einfachen Empfindung, die auf einem 
zusammengesetzten Keize beruht. Darnach wird man bezweifeln dürfen, 
daß auch nur die einfachste Empfindung durch die Tätigkeit bloß einer 
einzelnen zentralen Zelle bedingt sei, wird vielmehr ein Zusammen— 
wirken mehrerer, vielleicht vieler Zellen schon für die einfachste Erre— 
gung als wahrscheinlich ansehn müssen. 
Etwas grundsätzlich anderes als die Empfindung ist bereits die 
Sinneswahrnehmung, deren Zustandekommen durch eine Verarbeitung, 
eine Verschmelzung mit anderen, bereitstehenden Elementen, bedingt ist. 
Gewöhnlich denkt man den Prozeß als Lokalisierung; indes kommt diese 
nicht für jede Umwandlung einer Empfindung in Wahrnehmung in 
Betracht, sondern ist mindestens für Gehörs- und Geruchsempfindungen 
erst ein sehr sekundäres Produkt. Als entscheidend für die Erhebung der 
Empfindung zur Wahrnehmung muß vielmehr die Beziehung auf ein 
von den Erregungen des Organismus selbst unabhängig Gegebenes, ein 
individuell bestimmtes Tatsächlichester) angesehen werden. Diese Pro— 
jektion der Empfindung in ein Dinghaftes (Substanz) und die analoge 
Projektion der eigenen Bewegungsempfindung in das Ding (Ursache, 
Kraft) sind die primären Voraussetzungen für die Wahrnehmung eines 
Wirklichen. Kaum und Zeit und die sonstigen Wirklichkeitsformen, für 
welche die physiologischen Grundlagen noch längst nicht ausreichend be⸗ 
stimmt sind, treten hinzu. Indes dies alles wäre zweifellos nicht mög— 
lich, wenn es bei einem einzelnen, einem einmaligen Sinneseindruck 
121) Vgl. heinr. Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis, 4. Aufl. 21, 8. 327 ff.
	        
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