598 Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes.
nach eignen Gesetzen und in eignem Khythmus bewegen, so ist doch der
Kreis, der solcherweise von dem einzelnen Wesen durchmessen wird, durch
die besondern Bedingungen seiner Struktur wie durch die allgemeinen
Bedingungen seines Erdendaseins nicht minder festgelegt als etwa die
cchwingungen der Atome oder Moleküle, und seine Sonderart trägt
elbst dazu bei, den Beharrungszustand der Organismenwelt und ihre
rhythmische Lebensbewegung zu verwirklichen. Wir treffen hier auf
höherer Stufe, der organischen, und in höherer Form verwirklicht, was
uns schon in der physikalisch⸗chemischen Welt entgegentrat, Individuum
ind Gemeinschaft, das Individuum auch psychisch eine Einheit oder
wenigstens auf dem Wege zu einer solchen, die Gemeinschaft dagegen,
selbst bei höchsten Tierformen noch, fast gänzlich durch bestehende Ab⸗
—T V0 und durch organische Nötigungen bestimmt. UÜber
alle Willkür und alle Zufälligkeit hinaus sind Individuum und Ge—
meinschaft durch das Wesen des Organismus festgelegt und für ihn
richtunggebend.
Die bisherigen Ausführungen entsprechen im wesentlichen der in
den Religionen althergebrachten naiven Betrachtung der Organismen,
wenn auch ihre naive Vermenschlichung abgestreift, ihre Gesetzmäßigkeit
stärker hervorgehoben wurde. Die neuere Forschung ermöglicht uns aber
neue Perspektiven und wesentliche Vertiefung der religiösen Anschauung
auch an diesem Punkte. Die organische Form, stets individuell geprägt,
so weit unser Blick reicht, ist dadurch charakterisiert, daß sie bis zu
ihren Grundbestandteilen, den SZellen, organische Form bleibt. Die
zahllosen einzelligen Wesen zeigen in sich selbst Gliederung in Teile, die
zum Ganzen zusammenwirken, bilden Organe, die, je nach Anlage und
Bedarf, nur für den Moment bestimmt oder als dauernde Strukturen
aufgebaut sind. Im vielzelligen Organismus behalten zwar vielfach
diese kleinsten Bausteine ihre eigne Struktur und einen Teil ihrer Funk⸗
tionen, werden aber, je nachdem es das Ganze erfordert, diesem unter—
geordnet, ja selbst eingeschmolzen, wo es nottut. Nicht reibungslos voll⸗
zieht sich dieser Prozeß; in geeigneten Fällen, etwa bei gewissen Regene—
rationserscheinungen, läßt sich der Antagonismus zwischen der örtlichen
SZtelle und der Zentrale beobachten, und es siegt keineswegs immer und
überall, wie schon die pathologischen Vorgänge zeigen, die Tendenz des
Ganzen auf Selbsterhaltung. Aber zweifellos geht weithin, zumal wenn
wir den Übergang der niederen zu immer höheren Tierformen ins HAuge
fassen, die Tendenz auf Vereinheitlichung des Organismus, nicht ohne
daß sich die Organe immer spezieller und fester ausbilden. Nicht nur
bildet der Organismus ein System, sondern viele Systeme schließt er
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