Full text: Natur und Gott

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Die Begründung der Glaubensgewißheit. 701 
Gewißheit ruht. Alle Erkenntnis macht frei, frei von hergebrachten Vor— 
urteilen, indem sie lehrt, mit eignen Augen zu sehen, frei auch von dem 
eignen Belieben, indem sie sich bindet an das Gesetz des Gegenstandes 
ihrer Erkenntnis. Auch auf dem religiösen Boden finden wir ein kräftiges 
und selbständiges Denken, ein lebendiges Streben nach tieferer Gotteser— 
lenntnis, das je nach Anlage und Erfahrung heranreift; ebenso finden 
wir das religiöse Erkennen an das Gesetz ihres Gegenstandes, der gött⸗ 
lichen Wahrheit gebunden. Der Zwang des Sinnenfälligen fehlt hier 
freilich völlig, und insofern kann man von Freiheit der religiösen Er— 
kenntnis in besonderem Maße sprechen; aber von bloßem Belieben kann 
keine Rede sein, vielmehr handelt es sich hier, wie bei aller echten Er— 
kenntnis um unabänderliche Tatsachen, um Wirklichkeiten, deren SZwang 
wir erliegen, etwas das mit oder wider unsern Willen uns überwältigt 
und uns gewiß macht, daß wir nicht eignen Phantasien oder Gelüsten 
unseres Willens folgen, sondern eben die Wahrheit erkennen. Man muß 
wohl beachten, daß es nicht Gottes Gnadenerweisungen und seine lok 
lenden Verheißungen sind, aus denen die Seele seiner Realität und 
ewigen Kraft vorzüglich inne und bewußt wird, sondern weit mehr seine 
erschütternden Heimsuchungen und die Donner der Gerichte; auch die 
Wunder der Schöpfung waren den Alten ein lebendiges Zeugnis seiner 
allgegenwärtigen Kraft. Es drängt sich in Gottes Offenbarungen eine 
Wirklichkeit auf, die umfassender ist und größer, als wir zu begreifen 
dermögen, nur daß dieser Zwang sich nicht auf unsere Sinne, sondern 
auf den innern Menschen richtet. 
dutoritativ wird die Gottesoffenbarungstetssein 
müssen; das liegt in ihrem Wesen; wo Gott spricht, muß die Welt 
schweigen; eben darin ist aber auch ihre Begründung, als Wirklichkeit 
zu gelten, verankert. Es ist geradezu der Lebensnerv aller lebendigen 
Frömmigkeit, daß sie nicht vom Bewußtsein menschlicher Willkür, son— 
dern vom Bewußtsein schlechthiniger Abhängigkeit und unbedingten Ge— 
horsams gegen Gott getragen ist; darum ist Gehorsam des Glaubens 
das lösende Wortis), wenn wir nach dem Grunde der religiösen Gewiß— 
heit fragen; nicht etwa Unterwerfung des Intellekts unter Glaubenssätze, 
die wir nicht zu durchdringen vermögen, sondern freudiger Gehorsam 
gegen die erkannte Wahrheit, der wir unbedingte hingabe schuldig sind. 
Auf diesem freien Gehorsam, der in alle Freiheit leitet, beruht alle Zu— 
versicht und Gewißheit, die ein Christ besitzt. Gerade im Gehorsam voll— 
endet sich die Erkenntnis zur Gewißheit, hier hat sie ihren festen Halt, 
——— Dazu vgl. die Ausführungen von J. Kaftan, am schärfsten formuliert im 
„Brauchen wir ein neues Dogma?“ 90 s. 6- 13.
	        
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