Full text: Natur und Gott

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Die Eigenart der relig. Sätze und ihr Verhältnis zur Metaphysik. 707 
zureichenden und mangelhaften Art auch bewußt bleiben muß. Ihr 
ganzer Reichtum kann nur dadurch, wenn auch nicht erschöpft, so doch 
zum Bewußtsein gebracht werden, daß dauernd zu der ganzen in der 
christlichen Tradition bereits dargebotenen Fülle ein jeder beisteuert, was 
er an Glaubenserbenntnis gewonnen hat. 
Wir beendigen unsere Ausführungen über die religiöse Erkenntnis, 
indem wir das Verhältnis betrachten, in das sie sich selbst zu Meta— 
physik und Philosophie stellt. In der Nachfolge Schleiermachers hat 
Kitschl die Forderung aufgestellt, alle Metaphysik aus der Glaubeuns— 
lehre auszuschließen. Dieser Grundsatz ist berechtigt, wenn er besagt, 
daß die erste und wichtigste theologische Aufgabe darin besteht, die christ— 
liche Glaubenserkenntnis unter Ausscheidung aller fremdartigen Bestand⸗ 
teile in ihrer inneren Konsequenz und Eigenart darzustellen; er ist auch 
richtig insofern, als Gottes an sich seiendes Wesen, wie gezeigt, für keine 
Betrachtung, sie sei nun religiösen oder philosophischespekulativen Cha⸗ 
rakters, erreichbar ist; nicht Gott an sich, sondern Gott, wie er offenbar 
wird in seinen Wirkungen, bildet den Gegenstand einer möglichen Er— 
kenntnis. Einseitig dagegen würde der Kanon werden, wenn er (was 
freilich Kitschl selbst nicht tat) die Vergleichung und Ausgleichung der 
religiösen Gottesidee mit jener Gottesidee, auf welche die idealistischen 
Philosophen als auf eine letzte Folgerung aus der Welterkenntnis zu⸗ 
gelangen pflegen (das Recht dazu vorausgesetzt), ausschließen wollte. 
Denn da Gott, dem Glauben nach, der Gott der ganzen Welt ist, so muß er 
ohne Zweifel so gedacht werden, daß wirklich der ganze erkennbare Be— 
stand von Natur und Geschichte auf ihn zurückgeführt werden kam. 
Obwohl die religiöse und die philosophische Gottesidee aus verschiede⸗ 
nem Interesse und Gesichtspunkt entworfen werden, darf doch ein Wi— 
derspruch zwischen beiden nicht das letzte Wort sein. Ich befürworte also 
allerdings — wenigstens als eine in unendlicher Annäherung lösbare 
Aufgabe — eine letzte Synthese von „Glauben“ und „Wissen“ im Got— 
tesgedanken. Denn alle Indizien, auf welche etwa die Philosophie ihren 
Gottesgedanken stützt, sie mögen der Natur, dem Geistesleben oder der 
Folgerichtigkeit des Denkens entnommen sein, lassen sich doch religiös 
nur als Gottes Wirkungen, also als Offenbarungen deuten, an denen 
der Fromme nie wird vorübergehen wollen oder auch nur dürfen. Auch 
gehen schließlich alle Kräfte des Menschen in der Einheit seines be— 
wußten Lebens zusammen, darum muß in seiner Gesamtanschauung die 
Synthese das letzte Wort behalten. Wert kann sie freilich nur dann ha— 
ben, wenn zuvor jeder Teil seine eigne Aufgabe gewissenhaft gemäß 
ihren eigentümlichen Bedingungen zu Ende führt.
	        
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