Full text: Natur und Gott

744 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen. 
ebenso unentbehrlich den Hylomorphismus auf Seiten der Naturkunde. 
Aber eine Vergötterung sei das eine wie das andre und daher ein Aus— 
druck so unvollkommen wie der andre; wir könnten daher einen realen 
Begriff von Gott nicht aufstellen, nur erkennen, daß diese unaussprechliche 
Wahrheit des höchsten Wesens all unserm Denken und Empfinden zu— 
grunde lieges). Demgemäß wird die Anerkennung der Persönlichkeit 
Gottes, wo sie mehr als ein Bild sein soll, abgelehnt, die Gesamtheit der 
göttlichen Ursächlichkeit mit der Gesamtheit des Naturzusammenhanges 
identifiziert, Gott als ECinheit der Welt gedacht. Diesen pantheisierenden 
Momenten wirkt entgegen die Betonung der schlechthinigen Abhängig— 
keit von Gott, sowie des christlichen Sünden- und Gnadenbewußtseins, 
dessen Darstellung dem Schuldgefühl des Christen wie seiner Erfahrung 
der erlösenden Liebe Gottes gleichmäßig gerecht zu werden bemüht ist. 
Diese Darstellung Schleiermachers enthält eine wichtige Wahrheit, aber 
als eine voll befriedigende Lösung des Problems wird man sie noch 
nicht ansehen können. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, daß Natur— 
erkenntnis und Religion in verschiedener Sprache und Denkweise mit 
einem ganz verschiedenen Begriffsalphabet reden und denken und sich 
nicht vermischen, auch nicht ineinander überführen lassen. Auch die Be— 
gründung dieses Satzes auf die bloß phänomenale Art des Ideomorphis— 
mus wie des Hylomorphismus gegenüber dem „realen Begriff“ von Gott 
ist nicht zu beanstanden. Damit ist die volle Freiheit in der Begriffs— 
bildung beider Arten von Erkenntnis, die nicht durch Seitenblicke auf 
die andre gestört werden darf, zum formalen Prinzip erhoben. 
Daß aber beide Formen, wenn auch unvereinbar, ohne jedes Be— 
denken sich entwickeln dürfen, wird damit begründet, daß ihnen, wie 
all unserm Denken und Empfinden, die gleiche Wahrheit des göttlichen 
Wesens zugrunde liegt. Nun ist gewiß richtig, daß aller wahren Er— 
kenntnis der Natur von wahrer religiöser Erkenntnis nie widersprochen 
werden kann, aber es läßt sich nicht zugestehen, daß zur Erkenntnis des 
höchsten Wesens die Naturerkenntnis genau ebenso stehe und einen gleich 
wichtigen Betrag liefere wie die Religion. Das ist schon darum nicht 
möglich, weil alle Naturerbenntnis ihrem Wesen nach sozusagen noch 
um einen Grad mehr phänomenal ist als die religiöse Erkenntnis, weil 
sie auf Gegenstände der äußern Sinneswahrnehmung, nicht der innern 
Bewußtseinssphäre sich bezieht; ferner ist die Hyle, der ungeformte Stoff, 
wie wir heute wissen, überhaupt nicht Gegenstand der Wahrnehmung, 
sondern nur ein Ausdruck unsers mangelnden Verständnisses für die 
vorhandene Ordnung, also ein bloßes Produkt der Abstraktion, während 
s5) So in dem berühmten Briefe an Jacobi (Briefe II, 344f.).
	        
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