Das Tier in der Keligion. 61
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seinem Munde liegts); dieser Auffassung kommt der altnordische My—
thus von der Midgardschlange merkwürdig nahe. Auch der indische und
der griechische Mythus kennt unwiderstehliche Kolosse im Kampf mit
den Göttern. Überall siegt die Welt der Ordnung, repräsentiert durch die
neuen Götter in Menschengestalt. Doch ist der Sieg noch kein endgül⸗
tiger, z. B. wird von grimmigen Dämonen der Mondgott (Sin) umstellt
und es wird ihm so hart zugesetzt, daß er sich nicht in seiner Herrscher—
wohnung niederlassen kann (d. h. verschwindet), und solches dämoni—
schen Schadens gibt es mancherlei. Die nordgermanische Götterwelt wird
in fortdauerndem Kampfe mit Ungeheuern und Kiesen gedacht. Der
Kampf, zuerst für die Götter siegreich, drängt auf eine Endentscheidung,
bei der die großen Götter zusammen mit dem Fenriswolf, der Mid—
gardschlange und andern Ungetümen untergehen, aber schließlich eine
neue Götterwelt mit neuen CLichtgestalten hervorbricht. Auch nach der
parsistischen Eschatologie macht sich der alte Drache los, wird aber, nach⸗
dem er viel Unheil angerichtet hat, erschlagen. Cbenso weist Jes. 27,1
auf den Tag, da Jahwe mit seinem Schwert den Leviathan, die flüch—
tige und die gewundene Schlange (d. h. den Wolken- und den Meeres⸗
drachen) heimsuchen und das Meerungeheuer töten wird. Bis zu Ape.
12, 3ff. 20,2 bleibt diese mythische, aber sehr real gedachte Gestalt
des Drachen im Hintergrunde der Gotteskämpfe stehen. Es bedarf nur
der Andeutung, daß in alledem das wirkliche Tier weit über seine natür⸗
lichen Grenzen hinaus ins Gigantische gesteigert ist, daß im Grunde
ganz andere als tierische Gewalten (z3. B. die feindlichen Weltreiche)
durch das Tier symbolisiert sind. Das wirkliche Tier ist weder Gott noch
Teufel, aber es gehört für die mythische Phantasie mehr in den Bereich
des einen oder andern. Besonders im parsistischen Dualismus ist eine
solche dualistische Spaltung der Tierwelt durchgeführt, aber Spuren
davon begegnen uns auch sonst, wenn z. B. das lichte und das schwarze Roß
oder der lichte und der dunkelfarbige Hahn zu gegensätzlichen Gott—
heiten in Beziehung gebracht werden. Die Tiere, die Mephistopheles
als seine helfershelfer ausruft („der Herr der Katten und der Mäuse, der
Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“) hat man von jeher gern dem TCeufel
überlassen.
Auch wo das Tier auf seinen wirklichen Platz in der Schöpfung
zurückgetreten ist, bleiben doch nicht selten Gedanken zurück, die an frü—
here Zeiten erinnern. Dahin gehören mancherlei Tiertabus, die z. B.
im israelitischen Gesetz, aber auch noch in den Anordnungen des Pap⸗
40) pistis Sophia, zitiert nach Bousset, Gnosis s. 101.