770 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen.
der Kristallographie vergleichbare stereometrisch fundierte Formenlehre.
Um die Cinheit in der Mannigfaltigkeit zu erkennen, faßte man die Lage—
beziehungen der Ceile im Ganzen und ihre Bedeutung für das Ganze ins
Auge und kam so zur Idee eines einheitlichen Bauplanes der Teile, zum
Gesetz der Korrelation der Teile, zu den Erscheinungen der Symmetrie
usw. und gewann auf diesem Wege ein innerlich zusammenhängendes
System der organischen Welt, der man einen gemeinsamen Organisations-
plan als eine dem Schöpfer entstammende Gesetzlichkeit zugrunde legte.
Damit war eine dem Einzelwesen immanente, zugleich aber in das Ganze
sich harmonisch eingliedernde Sielstrebigkeit im Werden des Einzelwe—
sens unmittelbar gegeben, während der reale Zusammenhang der Lebe—
wesen untereinander und mit der umgebenden Natur zurücktrat. Vielleicht
ist diesen Ideen ästhetisch-religiöser Art nach der Uberwindung des platten
Naturalismus eine neue, den Realismus in sich aufnehmende UAus—
prägung beschieden.
Versucht man unter Voraussetzung der Abstammungslehre einen Ge—
sichtspunkt aufzufinden, unter dem sich eine Konvergenz der Linien der
Entwicklunqg ergibt, so kann man, wie oben versucht istee), wenn auch
nicht ohne Vorbehalte, die Tendenz zur Einheit und zur Ausbildung der
psychischen Funktionen nennen, und auf eine solche, d. h. auf den Men—
schen, kommen daher alle Forscher, die sich positiv zum Problem äußern,
hinaus. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die religiöse Betrachtung der
organischen Welt sich weder mit einemendgültigen Verzicht auf einen ein—
heitlichen Bauplan dieser Schöpfung noch auch mit einer rein ästhetisch—
idealistischen Fassung in der angedeuteten Art und Weise je zufrieden geben
kann, sondern eine teleologische Beziehung verlangt, die den Menschen
als Geistwesen in den Mittelpunkt der irdischen Entwicklung stellt.
Ebensowenig kann sich die Keligion den alten Gedanken eines einheitlichen
und symmetrischen Lebensganzen, in dem alles aufeinander abgestimmt
ist, nehmen lassen; die einzelnen Wesen spielen freilich darin nur die
Kolle, die ihnen durch ihren eignen Lebenszweck und ihre Stellung im
Ganzen vorgezeichnet ist. Zweckmäßigkeit im Sinne der Fremddienlichkeit,
um den unschönen, aber bezeichnenden Ausdruck Bechers?o) anzuwenden,
ist, wenn sie auch in der Natur vorkommt, eine seltene Sache. Dagegen
dienen die lebendigen Wesen, ohne es zu wissen und zu wollen, einander
und dem Ganzen in umfassendstem Maßes).
29 Oben S. 626ff.
30) E. Becher, D. fremddienliche SZweckmäßigkeit ... u. d. Hypothese e. über—
ndividuellen Seele 17.
31) Oben S. 595 ff.