Full text: Natur und Gott

Das Mirakel im heutigen Protestantismus. 771 
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5. Das Miralel im heutigen Protestantismus. 
Der Entwicklungsgedanke erwies sich uns als die besondere Form, 
welche die Gesetzesidee in ihrer Anwendung auf das Werden eines natür— 
lichen Systems, insbesondere des Organismus und der Organismenwelt, 
gewinnt. Die Idee der Gesetzmäßigkeit aber erschien mit der Idee einer 
schöpferischen Tätigkeit Gottes durchaus verträglich, ja insofern mit 
dieser untrennbar verbunden, als Gottes ewig unwandelbares Wesen 
auch seiner Tätigkeit, bzw. der Welt als Wirkung dieser Tätigkeit, den 
Stempel von Gesetzmäßigkeit und Ordnung aufprägen muß. Andrerseits 
erschien es unmöglich, die Freiheit und Lebendigkeit des göttlichen Waltens 
durch unsere Ideen von Gesetzmäßigkeit zu binden und zu beengen. Ihren 
schärfsten Gegensatz erreichen beide Tendenzen des Denkens im Wunder— 
glauben. Die Wunderfrage in allen ihren Beziehungen zu beleuchten, 
geht selbstverständlich bei weitem über den Rahmen unserer Untersu— 
chung hinaus, aber ebensowenig ist es möglich, sie überhaupt nicht zu 
berühren, da hier der Unterschied zwischen wissenschaftlicher und religiöser 
Betrachtungsweise besonders deutlich hervortritt; wir beschränken uns: 
demgemäß darauf, diesen Gegensatz zu beleuchten. Wie wir früher fest— 
stellten, handelt es sich im Wunderglauben keineswegs um einen An⸗ 
spruch, den lediglich die Offenbarungsreligionen erheben, sondern um 
religöse Clemente von sehr allgemeiner Verbreitung und sehr primitivem 
Tharakter. Übernatürlich hervorgebrachte Heilungen oder Naturvorgänge 
wie Kegen oder Dürre, Erdbeben, Verfinsterungen von Sonne oder Mond 
u. dgl.) gehören zu den fast überall auf der Erde erwarteten oder doch 
für realisierbar gehaltenen Wirkungen der Götter und Geister bzw. ihrer 
Beauftragten. Auch die biblische Tradition schließt, wenngleich im ein— 
zelnen Modifikationen nachweisbar sind, die gleichen Erwartungen ein, 
ja sie sind in dem Bilde, das von Christusee) und von der Endzeit ge⸗ 
zeichnet wird, mit erkennbarer Vorliebe behandelt. Ein von jedem supra⸗ 
aaturalen Zuge völlig freies Christusbild, wie es die neuere Forschung 
zu gewinnen versucht hat, ist schwerlich durchführbar, ohne den geschicht— 
lichen Wert der Tradition ernstlich zu gefährden oder mindestens den 
32) Doch treten in den Traditionen über Christus Naturvorgänge der be— 
zeichneten Art nur spärlich und gleichsam am Bildrande auf wie Mk. 4, 39 (Stil⸗ 
lung des Sturmes), Mk. 11, 21 (verdorrter SFeigenbaum), 15, 23. 37 gesteigert 
Matth. 27, 51f. (Finsternis und Erdbeben beim Tode); Matth. 2, 2ff. (Geburts⸗ 
stern); Joh. 12, 28ff. (göttliche Stimme als Donner); indes ist, wie besonders 
Mk. 8, 12; Ck. 9, 54 zeigen, die echte Tradition andern Geistes und so nimmt das 
Wunder seine Richtung auf die Person Jesu selbst (Wandeln auf dem See, Ver—⸗ 
klärung und leibliche Auferstehung) oder Wunder der Liebe (Heilungen, Auf⸗ 
erweckungen, Speisungen, Hochzeitswunder u. dal.).
	        
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