Full text: Natur und Gott

774 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen. 
auf die Einzigartigkeit und Wunderkausalität des zentralen religiösen 
Erlebnisses zustande kommen zu lassen. Denn in Wirklichkeit sei sie pri— 
mär durchaus inhaltlich bedingte, durch die Beglaubigung der auf den 
Christen eindringenden Gottesoffenbarung in der absoluten Befriedigung 
des religiösen Bedarfs. Nicht die Besiegung theoretischer Zweifel, son⸗ 
dern das zentrale Verständnis des Cvangeliums ist es, was sich zuerst, 
unter Umständen selbst beim theoretischen Atheisten, durchsetzt. Derselbe 
Dorgang, der „ganz auf eine supranaturale Ursache zurückgeführt sein 
will, die schlechterdings jenseits dieses Weltzusammenhanges liegt“, ist 
es auch, der, „um überhaupt möglich zu sein, ganz in derselben Weise 
nach den allgemein gültigen psychologischen Gesetzen sich vollziehen muß, 
wie jeder Vorgang im Seelenleben“?q). Damit ist ersichtlich der formale, 
mirakulöse Supranaturalismus zum Problem geworden; seine Geltung 
muß sich daran bemessen, ob er in der Analnse der christlichen, an Gottes 
Wort normierten Erfahrung sich als ein notwendiges Element erweisen, 
läßt; für das Gebiet des seelischen Erlebnisses ist von vornherein seine 
zentrale Stellung aufgegeben. 
Eine eingehende Würdigung des Problems findet sich bei Carl 
Stange; mit Kecht hebt er hervor, daß es sich bei der Stellung der Wun— 
derfrage durchaus nicht nur um den Gegensatz zwischen Glauben und 
Unglauben handle, daß vielmehr die allgemeinen Voraussetzungen des 
Denkens andre als früher geworden sind und eben hierin die Schwierig— 
keit wurzele. Auch darin stimme ich ihm zu, daß der Begriff des Wun— 
ders jedenfalls eine viel weitere Anwendung besitzt, als sie die Begren— 
zung auf eine „Durchbrechung der Naturgesetze“ mit sich bringen würde, 
und daß das Wunder vielmehr als Merkzeichen der göttlichen Gegen— 
wart in der Geschichte (wie in der Natur) zu würdigen ist. Was nun 
aber die hier speziell interessierende Frage nach dem in den Naturzusam— 
menhang nicht einzugliedernden Naturwunder angeht, so hebt Stange 
hervor, daß Naturgesetzlichkeit nur die durch den Verstand erreichbare 
Wirklichkeit meine, daß aber in jedem Weltgeschehen ein Rest bleibe, den 
wir nicht in gesetzlichen Begriffen aufzulösen vermögen. Aus diesen auch 
von uns vertretenen Gedankengängen wird dann der Schluß gezogen, es 
könne „keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, wenn innerhalb 
der Welt sich ein einzelnes Geschehen findet, welches sich der na— 
turgeschichtlichen Erkenntnis entzieht“s). Hier klafft, falls Stange 
34) Ihmels, Die christliche Wahrheitsgewißheit, 3. Aufl. '14, S. 225ff., 233f.; 
ogl. auch die in mancher Beziehung deutlichere Formulierung in 2. Aufl. s. 207f. 
35) Carl Stange, Christentum und moderne Weltanschauung, II, Naturgesetz 
und Wunderglaube, 14.
	        
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