Full text: Natur und Gott

776 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen. 
gegenkommen, das Mögliche getan, um den Anstoß zu beheben, aber ein 
voller Erfolg ist auch Seeberg, falls er am Naturwunder der biblischen 
Überlieferung festhält, nicht beschieden. 
Ohne 5weifel nimmt auch er an, daß, solange der Mensch existiert, 
auch die Naturordnung bereits die gleiche ist, und daß die gesetzmäßige 
Kombination natürlicher Kräfte, mag sie uns auch noch nicht vollständig 
bekannt sein, ihre begrenzten Möglichkeiten hat, z. B. aus Wasser nicht 
ohne weiteres Wein werden kann. Soll nun in der Weise, wie es Tho— 
mas von Aquino getan hat, ein Hhereinwirken des göttlichen Faktors zur 
Anregung einer neuen Kombination angenommen werden, so hätten wir 
uns diese Wirksamkeit etwa in der Weise der raumlosen, in den Raum 
hineinwirkenden Entelechie vorzustellen, wie sie Driesch, allerdings nur 
für das Gebiet der organischen Erscheinungen, annimmt. Um den Vor— 
gang an der Verwandlung von Wasser und Wein im Sinne der neuesten 
hypothesen zu veranschaulichen, hätten wir etwa anzunehmen, daß durch 
die göttliche bzw. eine andre von ihr beauftragte Entelechie die Null— 
punktsenergie des üthers angeregt würde, die Atom- und Molekülbe— 
wegungen des Wasser- und Sauerstoffs so zu beeinflussen, daß infolge 
der geänderten Bahnen die nötigen Atomzertrennungen und Atomkom⸗ 
binationen stattfänden, die in ihrer Gesamtheit das ergäben, was aus der 
chemischen Analyse von „Wein“ bekannt ist. Es versteht sich aber, daß 
wenn ein solcher Vorgang als real — sei es auch nur einmalig vollzogen 
— angenommen werden könnte, die chemische Wissenschaft daran ein fun— 
damentales Interesse nehmen müßte, weil ihr damit eine neue prinzi— 
pielle Erkenntnis von fundamentalem Werte zuwüchse. Ebenso sicher ist, 
freilich, daß der Chemiker sich für berechtigt erachten wird, gegen eine 
solche Bereicherung im Namen der Wissenschaft Protest einzulegen, und 
daß niemand, der weiß, was Religion ist, ihn deshalb des Unglaubens 
zeihen wird. Auch würde der naive Sinn der alten Erzähler, die von un— 
sern Schwierigkeiten nichts ahnen konnten, völlig vergewaltigt. 
Sind wir aber als evangelische Theologen nicht mehr in der Lage, 
allen Ernstes den Gedanken des Thomas der Wissenschaft gegenüber 
durchzuhalten und der heutigen wissenschaftlichen Naturerkenntnis eine 
dem Mirakel gemäße richtige Erkenntnis oder doch Ahnung der Natur 
entgegenzustellen, so bleibt nur übrig, umgekbehrt den heutigen Maßstab 
des Naturgeschehens (nicht als einen fertigen, aber als den zur Zeit am 
meisten entsprechenden) der Kritik von Wunderberichten zugrunde zu 
legen. Schwerlich ist wohl, wie es Seeberg annimmt, die Intellektug— 
lisierung als solche der entscheidende Grund für eine Abnahme des mira— 
kulösen Geschehens. In der Antike wie in der Neuzeit treffen wir genug
	        
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