Full text: Natur und Gott

780 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen. 
spannt. Diese Auffassung ist zwar noch nicht allgemein anerkannt, aber 
sie macht sich notwendig, wenn wir nicht die grundlegenden christlichen 
Verheißungen entwerten sollen; denn diese stellen den Gläubigen aller 
Zeiten die gleichen, ja „größere“ Taten in Aussicht, wie sie Jesus voll— 
bracht hatso). Beständen diese Werke in Mirakeln statt in Geistestaten, 
so wäre die Verheißung nichtig und die Kontinuität des Christentums 
zerstört; denn seit Lavater, der es noch mit der Hervorbringung von Mi— 
rakeln versuchte, ist es in der evangelischen Kirche allgemein geworden, 
solche nicht zu erwarten. 
Auch sei hervorgehoben, daß man dem Wunderproblem nur dann 
gerecht werden kann, wenn man es auf psychologischen Boden stellt, 
nicht aber auf metaphysischen. Denn eine metaphysische Deduktion der 
Notwendigkeit des Wundergeschehens ist kaum je ernstlich angefaßt und 
auch nicht durchführbar; nicht einmal, ob und wie sich denn der Vorgang 
des Wunders für Gott selbst vom Naturgeschehen unterscheide, läßt sich, 
wie schon Augustin hervorhebt, deutlich machen. Ebensowenig ist der 
metaphysische Beweis der Unmöglichkeit des Wunders, wie ihn Spinoza 
aus der Gleichsetzung von Gott und Natur führte, einwandfrei; sobald 
man die Natur als Gottes Schöpfung auffaßt, wie es die monotheistischen 
Glaubensweisen tun, muß eben die Möglichkeit auch ganz andrer Schöp⸗— 
fungen vorbehalten bleiben. Über eine bloße Inkonvenienz für Gottes 
Weisheit und die Unveränderlichkeit seines Wirkens, die in der Cinfügung 
ganz heterogene Schöpfungen in die bisherige liegen würde, läßt sich nicht 
hinauskommen; eine solche aber kann nie absolut entscheidend sein, weil 
uns ein kompetentes Urteil über Gottes Wirken nicht zukommen kann. 
Befriedigender wird unsere Position, wenn wir das Problem auf 
den Boden der Psychologie stellen. Entsprechend der Stetigkeit und gro— 
hen Regelmäßigkeit des Naturgeschehens sind wir gewöhnt, auf diesem 
Gebiete die Idee allgemeiner Gesetzmäßigkeit bestätigt zu sehen; wir 
gehen von vornherein von der immer wieder bestätigten Annahme aus, 
daß die Wirklichkeit einen geordneten Zusammenhang bildet, und daß sich 
in diesen der gesamte Verlauf alles gegenwärtigen und zukünftigen Ge— 
schehens einordnen lasse; von dieser Grundvoraussetzung ist nicht nur 
alle wissenschaftliche Beobachtung, sondern auch unser gesamtes praktisches 
handeln abhängig. Im letzten Grunde ist freilich diese Annahme nicht 
beweisbar; auch Kants Auffassung, daß sie mit innrer Notwendigkeit 
dem zeitlosen Wesen unserer Vernunft entspringe, ist schwerlich haltbars). 
Vielmehr handelt es sich um eine Verallgemeinerung der Erfahrungen 
und wissenschaftlichen Tendenzen der Neuzeit, die dem Einheits- und Frei— 
10) Joh. 14, 12. Mk. 11, 23. 1) Dgl. oben S. 12f. 584. 710ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.