Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

Bildwerke: über der Unterwelt das diesseitige Leben, darüber das 
Bnadenleben und Himmelreich. 
Betrachten wir nun die Darstellungen an der äußeren Kesselwand. 
Lichtzeichen 
Von den vier Tierbildern in der Zone zwischen den Strickwülsten 
sind zwei, ein Hirsch und ein springendes Tier, die beide mit Schlangen 
zu tun haben, durch das Lichtzeichen (Dreiflamme, Dreiblatt, Lebens 
zeichen) als Gleichnisse gekennzeichnet, die gute Bedeutung haben, vor— 
bildliches Verhalten zeigen, während die beiden übrigen Tiergruüppen 
Schlimmes bedeuten. Mit Tieren zusammengestellt, kommt dieses 
zZeichen selten vor. In Bogenfeldern von Kirchenportalen, an Tauf— 
kesseln, auch als Abwehrzeichen ist es häufig; in Chur, wo die Ver— 
heißung des Erlösers dargestellt ist, bedeutetl das Dreiblatt den vom 
Himmel kommenden Sproß; als Szepter geht es auf die Lebensrute, 
den grünenden Stab zurück. Hier ist nicht der Raum, der vielseitigen 
Anwendung nachzugehen. In vorliegendem Falle kann nur die gute 
Bedeutung im oben erklärten Sinn in Betracht kommen, wie aus dem 
Inhalt der Bilder ersichtlich wird. 
Der Hirsch 
Diese Darstellung erinnert an die Sage, daß der Hirsch eine 
Schlange verschlingt, von ihrem Gifte heiß unoͤ durstig wird, kränkelt 
und sein Geweih verliert, aber aus einer Quelle trinkt, die Schlange 
amt ihrem Gift ausspeit, sich verjüngt und die stolze Zier seines 
Hauptes wieder erhält. Das ist uralte Rondfymbolit Ver Mond wird 
alt (nimmt ab), büßt seine Schönheit ein, das letzte Viertel (wie eine 
Schlange) verschwindet, drei Nächte ist der Mond unsichtbar (er trinkt); 
darauf erneut, verjüngt er sich, erscheint als erstes Viertel (Schlange), 
erhält wieder seine Jugendkraft und Schönheit. Gleichen Ursprungs 
ist die Sage vom Adler, der „seine Jugend erneut“, indem er dreimal 
aus der Quelle trinkt (drei Nächte), dreimal in die Sonne fliegt (Neu— 
mond am Tageshimmel) und wieder jung wird (zunehmender Monds). 
Ob unser Hirsch die in unregelmäßiger Windung aus seinem Maule 
hängende Schlange verschlingt oder von sich gibt, ist ganz gleichgiltig; 
die bekannte Sage braucht nur angedeutet zu werden. Auch die mora⸗ 
lische und dogmatische Auslegung war längst bekannt, es hätte der viel 
später am Taufbecken angebrachten Inschrift nicht bedurft: „Evomit 
infusum homo cervus ab angue venenum“. Der Hirsch versinnbildlicht 
hier einen Menschen, der das Gift der Schlange, die Sünde, von sich 
wirft; dazu befähigt ihn der Trunk aus der Gnadenquelle, das Bad im 
Taufwasser. Der Hirsch, kann man sagen, ist siegreich im Kampfe gegen 
die Schlange, das Lichtzeichen vor ihm deutet Sieg und Leben an. Daß 
dieses Zeichen inmitten der Schlangenwindung angebracht ist, hat kei— 
nen symbolischen Grund, sondern geschah nur des vorhandenen Platzes 
wvegen. Das Verhalten des Hirsches ist vorbildlich für den Menschen, der 
durch die Gnadenquelle von der Sünde befreit, wiedergeboren, gestärkt 
und verklärt wird. 
Das springende Tier 
Des vorhandenen Raumes wegen ist das springende Tier über dem 
Hinterleibe des heraldisch rechtseitigen Drachen angebracht, ohne zu ihm 
Bezug zu haben. Eine fliehende Schlange verfolgend hat es deren 
Schwanzende mit den Zähnen ergriffen. Vor seinem Kopfe erscheint, 
wie beim Hirsch, das dreiflammige Zeichen. Was ist das für ein Tier? 
Die zoologische Bestimmung der Flora und Fauna romanischer Plastik 
wird immer Schwierigkeiten begegnen, zumal auch die Vorlagen der 
Buchmalerei sehr unzuverlässig sind. „Der Bildhauer hatte offenbar 
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