er trägt den spitzen Judenhut, der damals vorgeschrieben war und den
Kopf als Bild eines Juden zweifellos kennzeichnet. Er ist hier ange—
bracht, weil es ein Anzeichen des kommenden Weltgerichts sein wird,
wenn sich die Juden bekehren (Is. 59, 21; Luk. 21, 24; Röm. 11, 25). Um
die Zeit der Ausstattung des Riesentors war die Judenfrage akut; sie
bildete einen Punkt der Tagesordnung auf einer Kirchensynode, die
267 in der Stephanskirche stattfand (Die Christliche Kunst, S. 174).
5. Die Kräfte des Himmels. Zwei ernsthafte, schöne Men—⸗
schenköpfe mit gelockten Haaren gehören je einem Paax Bogelleibern
mit verschlungenen Schwänzen an. Das ist eine ähnliche Stilisierung
wie bei den gepaarten Hunden mit gemeinsamem Kopf in der südlichen
Reihe. Die Paare sagen von einer unbestimmten Mehrzahl gleicher
Wesen. Man hat ihnen Drachen, Harpyjen, Sirenen von seelenfeind—
licher Bedeutung sehen wollen, aber es ist kein Merkmal von Bosheit,
Schlangen- oder Fischwesen an ihnen. Im Dom zu Modena sind an
zwei antithetisch gegenüber stehenden Kapitellen Vogelwesen mit schö—
nen Menschenköpfen, einmal beiderseits eines Lebensbaumes mit offe—
nen Flügeln, das anderemal mit geschlossenen Flügeln von der Teu—
felsfratze, die dazwischen ist, festgehalten. Dort bedeuten sie Freiheit
und Leben, hier Tod und Gefangenschaft; die Wesen selbst sind für
Menschenseelen zu verstehen (GBernheimer, Rom. Tierplastik, München,
1931, Abb. 61 und 62). Im Fries von St. Stephan können sie sogar
himmlische Wesen vorstellen. Man beachte am Bischofstor auf der
uördlichen Seite des St. Stephansdomes (Abb. 145 bei Tietze) im Spitz⸗
hogenfeld, wie von den Engeln, die bei der Krönung Mariä den
Thronvorhang tragen, drei als gefiederte Vögel mit Menschenköpfen,
offenen Flügeln, Vogelfüßen gestaltet sind. Als hätte der gotische Mei—
ster um 1370, die Gestalten aus dem romanischen Westportal im Auge
gehabt. Nach wenig mehr als hundert Jahren konnte man noch in Er—
nnerung haben, was die Menschenvögel am Fries bedeuten. Jeden—
falls hätie der Gotiker keine teuflischen Wesen in die Himmelsglorie
bersfetzt. Ihm handelte es sich um Engel, also werden die Vorbilder
wohl himmlische Wesen sein. Wie fügen sie sich in das Thema vom
Weligericht, in die nördliche Bildreihe ein? Sie folgen auf den Juden—
kopf. Bei Lukas (21, 24) folgt auf die Ansage der Judenbekehrung un—
mittelbar die Rede von der Zerstörung der Welträume: Die Kräfte
des Himmels werden erschüttert. Matthäus (24, 29) läßt die Heerscha—
ren des Himmels, Markus (18, 25) die Himmelskräfte erschüttert wer—
den. „Und Zeichen werden sein an Sonne, Mond und Sternen, auf Er—⸗
den Bedrängnis der Völker vor Bestürzung ... da die Menschen hin⸗—
schmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den ganzen
Erdkreis kommen werden; denn die Kräfte des Himmels werden er—
schüttert weren. Und dann wird man den Menschensohn in den Wol—
ken kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit“ (Luk. 21, 28527).
Nun erinnere man sich, daß unter den Engelschören auch die „Kräfte“
aufgezählt werden, Engel mit einer besonderen Aufgabe. Im gotischen
Bilde sind es himmlische Geister, im romanischen Fries Himmelskräfte,
deren Antlitz schon von Erschütterung spricht. Ihre Aufgabe wird es
sein, die Erde mit Blitz, Feuer, Donner (Erdbeben), Hagel und Wasser—
fluten zu vernichten (vergl. Joh. Offb. 16, 1821). Wir sehen also in
den Menschenvögeln des Frieses Personifikationen der „Kräfte“, deren
Erschütterung das Nahen des Weltgerichts ankündigt.
6. Die Höllendrachen. Der letzte Block des nördlichen Frieses
ist in gotischer Zeit eingefügt worden als Ersatz einer romanischen
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