In den Außenwinkel gegen Osten hin ist eine Steinplastik einge—
setzt, ein Löwe, der mit den Pranken einen feisten Menschenleib fest—
hält, dessen Oberkörper zum größeren Teil schon im Rachen des Löwen
steckt. Im Rachen eines Lindwurms oder eines Löwen beinahe ver⸗
schlungene Menschen sind in der romanischen Bildnerei häufig. Sie
sind Gleichnisse des Untergangs, sei es der Sonne oder der Welt, oder
großer Todesgefahr. Dabei schaut aber gewöhnlich der Kopf oder Ober—
leib des Verschlungenen hervor. Hier ist nur das fette Hinterteil sicht⸗
bar; darum kann dieses Bild nur in einem der Unanständigkeit ent—
sprechenden Sinne erklärt werden. Den Hintern weisen, ist ein uraltes
Abwehrmittel. Diagonal gegenüber ist neben dem Ostwinkel, südlich
davon, ein Hornbläser angebracht, der auf Pflöcken am Bogen em—
borsteigt, in der Rechten einen Knüppel (Krummholz) tragend. Auf die—
ses Bild eines, oder gleich gesagt, des wilden Jägers kommen wir aus—
führlich bei der Behandlung der Skulpturen am Portal und an der
Westfront des Großmünsters zurück. In dem Nordwinkel war die Fi—
gur eines Bären, der sowohl den Norden als auch den Teufel bedeu—
tet, im südlichen Winkel war ein Greif, ein Feuersymbol. In diese vier
Abschreckbilder einbezogen, kann der Jäger nicht guter Bedeutung sein.
Die Annahme dieser Stücke im Nord- Und Südwinkel betreffend, siehe
Hoffmann, Seite 111.)
Wir betreten jetzt den südlichen Gang und gehen von Westen nach
Osten. Nachdem den Westgang Gedanken des Todes und der Unterwelt
beherrschen, wird das Bildwerk des Südganges, dem Sinne der Him—
melsrichtung gemäß, vom irdischen Leben „in der Sonne“ mit seinen
GBefahren seinen Inhalt beziehen.
Am westlichen Eckpeifer ist am östlichen Kämpfer ein Bild mit zwei
voneinander abgewendeten Flügeldrachen, deren Schwänze in der
Mitte der Tafel um einander geschlungen sind. Sie scheinen einander
zu fliehen. Das Bild steht noch unter dem Gedanken des Unfriedens
zwischen den bösen Mächten.
Am ersten Säulenkämpfer sind auf beiden Seiten Pflanzenorna—
mente, mit Andeutung von Unterweltszeichen, die wir im Westgang
bemerkt haben, hier wie geöffnete Bogen und ein Band ähnlich dem
Wellental, hier nur einen Wasserlauf bedeutend, eine Quelle vielleicht.
Am zweiten Kämpfer zeigt die westliche Seite zwei umwundene
Schlangen, die Kröten festhalten. Dämonen, die sündigen Seelen nach—
stellen; auf der östlichen Seite zwei Vögel, die von Trauben zehren, er—
löste Seelen, die von der Frucht des geistigen Weinstockes sich laben.
Das Kämpferbild des ersten Zwischenpfeilers enthält zwei Zentau—
ren, einen als Bogenschützen, getrennt durch einen Baum von einem
Speerträger, dessen Vorderbeine und Schildarm in Schlangen verwik—
kelt sind. Diese Schlangen heben den uͤnterweltlichen Charakter des
Zentauren hervor, der in der romanischen Auffassung immer den Tod
— Teufel bedeutet. (Vergl. Chur, S. 262, 1934 bu In Dante's Höl—
lenschilderung bewachen Zentauren den Pfuhl der Mörder und schießen
mit Pfeilen auf die Auftauchenden. Die Umwendung des Bogenschützen
richtet sich nicht feindlich gegen den Veun e ist uralter
Typus zum Zwecke einer geschlossenen Darstellung des Schützen oder
Kentauren in den Tierkreisbildern. Karl Helm, Altgermanische Reli—
gionsgeschichte, 1, 211 vergleicht den Zentauren mit dem nordischen To—
tenroß. Es ist mir kein Beispiel in der romanischen Plastik bekannt, an
dem der Zentaur sicher als Verführer auftritt, jedesmal ist die Beu—
tung auf den Tod glaubhafter und dem Zusammenhang entsprechend.
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