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Die heilige Kümmernis
ist sehr viel zuverlässiger als man bisher wußte; und um so mehr
eine Überlieferung von etwas Heidnischem; denn diese Überlieferung
wurde sicher kirchlich und amtlich zunächst bekämpft. Wenn das
Volk sich trotzdem den Namen nicht rauben ließ, so war er sicher
begründet. Wer weiß, wie lange noch das Bayernvolk dieser Berge
an diesem Stein heimlich seine Gebräuche geübt hat; wenn die
Kirche noch 1864 eine Umweihung der Kapelle auf Maria hier
oben für nötig hielt. Der Heidenstein besteht aus zwei Felsblöcken;
einem größeren länglichen Stein, muldenförmig ausgehöhlt, zweifel⸗
los von Menschenhand; in der Mulde liegt ein kleinerer Felsblock,
wie ein Pfirsichkern in der Frucht; dieser Stein ist etwa m lang,
Im breit und IUm hoch; am oberen Grat dieses Steins ist eine
quergehende Rille eingeschnitten. Man hat die Vorstellung, als
ob der Kern in der Mulde irgendwie bewegt worden sei, etwa um
eine Opfergabe zu zermahlen. Diese Bewegung des oberen Fels—
blocks wäre freilich nur mit großem Kraftaufwand, also durch Zu—
jammenwirken vieler Menschen und durch besondere Einrichtungen,
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der zugehauenen und ausgeschliffenen Mulde sicher gehabt; und
diese besondere Bedeutung kann nur in ihrem Zusammenhang mit
dem Gottesdienst und den Glaubensvorstellungen der Umwohner
liegen. Deshalb jedenfalls, weil das Volk diese Stätte immer wieder
aufsuchte mit seinen Anliegen und Gelübden, haben die christlichen
Priester dann auf diesem abgelegenen Hügel die Kümmernisver—
ehrung und ihre Rapelle zugelassen, um die Sache wenigstens
äußerlich und dem Namen nach zu verchristlichen. Das Heidentum
darin war der Kirche stets bewußt; aber mit jener Klugheit und
Duldsamkeit, die die frühere Kirche auszeichnete, ging man ganz
allmählich vor. Man ließ dem Volke vorläufig seine alten Ehr—
furchtsformen (religio), die es sich doch nicht ohne weiteres hätte
nehmen lassen; selbstverständlich unter grundsätzlicher Wahrung des
Standpunkts, daß aller kirchenamtlich nicht gebilligte Glaube Aber—
glaube ist. Aber die Kirche kann warten, und wenn es tausend
Jahre sind. Am Anfang des 6. Jahrhunderts kamen die Bayern
in dieses Land und damals entstand wohl diese Verehrungssstätte.
Wesentlich im 8. Jahrhundert wurden die Bistümer eingerichtet,
und das freilich vielfach „annoch glimmende Heidenthumb“ amtlich
beseitigt. 1864 wird der Name der heiligen Kümmernis getilgt.
Bei Obermarsberg, auch Stadtbergen genannt, im westfälischen
Sauer(Süder)lande, in den Ausläufern des Osning, des wahrschein—
lich nach den Asen genannten Gebirgszugs, in dem das alte Volks—
heiligtum der Teutoburg stand, liegt ein Waldstück, das der Heiden—