Deutsche Denkmälerforschung
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Aber diese sind jedenfalls nicht in der schriftlichen Überliefernng zu
finden. „Die volkstümliche Vorstellung von Kümmernis ist uns fast
ausschließlich kultisch vermittelt, weshalb denn auch die bildlichen
Darstellungen die schriftstellerischen an Zahl und Darstellung be—
trächtlich überwiegen.“ (Karl Albrecht Bernoulli, Die Heiligen der
Merowinger, S. 170).
Vielfach kann eine Frage der Altertumswissenschaft, die große
Schwierigkeiten bietet, wenn sie lediglich mittels der schriftlichen
Quellen zu lösen versucht wird, durch eine einfache Denkmälerver—
gleichung rasch und restlos geklärt werden. In der Stuttgarter
Altertümersammlung findet sich ein halberhabenes Steinbild aus
Stocksberg, Oberamt Brackenheim; es stellt in sehr unbeholfener und
sichtlich sehr unfreier Arbeit eine beleibte schleierumhüllte weib—
liche Gestalt dar, mit einem Pfau zur Seite und einem rätselhaft
formlosen Gegenstand auf dem linken Arm (Abbildung bei Baum,
Alt. d. Plastik, Nr. 454). Das Gebilde ist sichtlich nicht römisch; es
gibt aber keine Heilige mit einem Pfau in dieser Gegend und die
andere Beigabe ist schon gegenständlich völlig unklar. Bei Haug-Sirxt
ist nun durch eine einfache Zusammenstellung zweier Abbildungen
überzeugend erwiesen, daß da der mittelalterliche Steinmetz ein dort
zufällig über der Erde erhaltenes antikes Junobild nachgemeiselt hat.
Wie sehr die Denkmälerforschung als Nebensache betrachtet
wurde, zeigt sich besonders auffällig darin, daß sehr häufig in ger—
manistischen Werken die Verfasser sich bezüglich der Denkmäler auf
den bloßen Bericht oder eine höchst mangelhafte, von Buch zu Buch
übernommene Abbildung beschränken, ohne sich das Denkmal selber
anzusehen. Ich bringe unten Beispiele dafür von angesehenen For—
schern, die sicherlich gegenüber ihren schriftlichen Quellen eine so
mangelhafte und bloß mittelbare Quellenkenntnis bei sich und
anderen scharf getadelt hätten.
Wie wichtig die mündliche UÜberlieferung, Brauch und
Sitte des Volks, neben den schriftlichen Urkunden sein kann, wurde
eigentlich auch erst von einer sehr jungen Wissenschaft, von der
Volkskunde, richtig veranschlagt. Gebräuche, Sagen und Sitten des
Volks sind für die deutsche Altertumsforschung eine äußerst wichtige
Quelle, weil sie vielfach uralten Bestand aufs treueste bewahren.
Wir Deutsche sind das einzige der großen europäischen Völker, das
nie im Ganzen erobert worden ist; wie die Gallier von Römern und
Franken; wie die Briten von Römern, Sachsen, Nordmännern. Wir
dagegen — woraus besonders englische Forscher das absonderliche
Glück und das absonderliche Unglück unserer Geschichte erklären zu
können glaubten — haben seit den ersten geschichtlichen Nachrichten