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Dem unbekannten Gotte
Heilige. Und sie haben Beziehungen zum burgundischen Königshaus
und damit zur deutschen Beldensage.
Ein vorsichtiger Mann, der an höhere Wesen glaubte, der aber
in diesen durch die Völkerstürme durcheinandergewirbelten Gegen⸗
den nicht zu entscheiden wagte, welcher Gott der richtige sei — wie
ja noch die ältere christliche Kirche das Bestehen und Wirken der von
ihr bekämpften heidnischen Götter nicht leugnete — konnte wohl
zufrieden damit sein, daß die drei Göttinnen, an die er seine Gebete
richtete, so vielseitige Wurzeln hätten, nämlich in der einheimisch⸗
volkstümlichen, in der antik⸗römischen und in der neuen judenchrist⸗
lichen Götterwelt als Nornen, als Matronen, als Parzen, als Embet,
Warbet und Wilbet. Nur zu der Welt des persischen Mithras, der
zeitweilig in diesen Gegenden dem Judengott so gefährlich geworden
war, bestanden keine Beziehungen; aber Mithras war ja, nach dem
Abzug der römischen Besatzungen und ihrer aus dem Osten stam—
menden Truppenteile aus diesen Gegenden, nun endgültig besiegt.
Ohne Spuren ist dieser Mithrasdienst natürlich nicht geblieben. So soll der
hzl.. Georg von der gemeinsamen vorderasiatischen Heimat her gewisse Züge mit Mithras
gemein haben. Der Zug der Mithraspriester oder Magier zum Kaiser Nero wird zu
der Fahrt der heiligen drei Könige aus dem Morgenlande nach Westen GAlbrecht
Dieterichj. Es kommen also dabei zwei an sich durchaus geschichtliche Ereignisse, die
Geburt Christi und die Huldigung der Mithraspriester vor Nero, durch die Sage in
Verbindung. Hier ergibt sich zugleich ein gutes Beispiel dafür, wie die Denkmäler—
forschung für größere kulturgeschichtliche Zusammenhänge fruchtbar werden kann.
die phrygische Mütze, die sog. Freiheitsmütze aus der französischen Umsturzzeit, ist
ennzeichnend für Mithras und Mithrasdienst; vgl. die schönen mithräischen Friese
aus Besigheim in der Stuttgarter Staats⸗Sammlung. Als Albrecht Dieterich zuerst
auf den vermutlichen Zusammenhang zwischen der Legende von den heiligen drei
KRönigen und der geschichtlichen Fahrt der Mithraspriester zum westlichen Kaiser, zu
Nero, 66 n. Chr., hinwies, hatte er noch zu suchen nach frühchristlichen Darstellungen
der heiligen drei Könige, auf denen diese die phrygische Mütze tragen. Solche gibt es
nun in großer Zahl; der naturgemäß sehr zerstreute Stoff muß aber erst von der
Denkmälerforschung zugänglich und greifbar gemacht werden.ios)
Daß mehr als ein Weg zur Gottheit führen könne und daß die
Derehrung eines bestimmten Gottes die eines anderen nicht aus⸗
schließe, mußte jenem Zeitalter der Völker— und Glaubensmischungen
lebendig sein. 1034)
Der Alemanne, der vor den Steinbildern in Hirsau seinen alten
Göttern abschwören und sie als Unholde bezeichnen mußte, konnte
los) Albr. Dieterich, Die Weisen aus dem Morgenlande, 1902; neu abgedruckt
in den kleinen Schriften, 1911.
ou4) Im Jahre 383 verteidigte der Altrömer Quintus Aurelius Symmachus
den alten Glauben vor dem neuen Kaiser Valentiniam dem Zweiten gegen die
Bedrängung durch die Christen: „Hu denselben Sternen blicken wir empor, ein
Himmel überspannt uns, eine Erde trägt uns ..... es führt mehr als ein Weg
zu dem großen Geheimnis.“