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Bayern erhalten haben. Das ist nur denkbar, wenn auch die Be—
völkerung aus römischer Feit sich erhalten hat. Denn zu den ein—
rückenden Germanen, hier Alemannen und Bayern, kommt das
Christentum erst Jahrhunderte später. Während dieser ganzen Zeit
konnte sich die christliche UÜUberlieferung unmöglich ohne lebende
Träger dieser Überlieferung, das heißt ohne lateinische Bevölkerung
erhalten.108)
Die kräftige Außerung des bayerischen Stammesstolzes, die sich
am Ende der Kasseler Glossen findet, ist in dieser ein wenig kind—
lichen Weise doch nur durch nähere örtliche und dauernde Berüh—
rung zu erklären, durch Eifersucht von Dorf zu Dorf, die sich in
Schnaderhüpferln CLuft macht: tolhe sint Walha, spahe sind Peigira;
toll sind die Welschen, helle sind die Bayern. Man hat gesagt, die
Reste der vorbayverischen Bevölkerung könnten nicht sehr zahlreich
gewesen sein; sonst hätten sich mehr welsche Ortsnamen erhalten.
Der Einwand ist unzutreffend. Grundherr wurde eben der Germane
und daher dieser gab den Namen; selbst wo die Romanen blieben;
Walchensee; Walchen. Die Städte dagegen, z. B. Regensburg, Pas⸗
sau und eine Anzahl von Burgen am Grenzwall behielten ihre
lateinischen Namen.
Auf dem Heiligenberge gegenüber Heidelberg sind im Sommer
886 die Reste einer Basilika ausgegraben worden, die dem heiligen
Michael geweiht war. Auf der gleichen Stelle hat vorher, wie
zfunde ergaben, ein Heiligtum des Merkur gestanden; Merkur ist
die römische Bezeichnung für Wodan. Auch hier also ist die Nach—
folge Wodan-Michael gesichert. Auch der Bergname Heiligenberg
ist bemerkenswert. Die Erinnerung an den christlichen Titelheiligen
war verloren gegangen und er ist erst durch die Ausgrabung
neuerer Zeit wieder belebt worden. Daß der Ort eine heilige Stätte
gewesen war, war aber im Volksmunde lebendig geblieben. Es
lebt also in dem Namen Heiligenberg die vorchristliche Weihestätte
weiter; ebenso wie der Heiligenberg bei Ovenhausen, mit einer
ebenfalls dem Erzengel Michael geweihten Kirche; „wahrscheinlich
heidnische Kultstätte war“ (Direktor Fellinghaus, Osnabrück, in
dem Korrespondenzblatt d. deutsch. Gesch. u. Altert.Ver. 1909).
Der Heiligenberg bei Heidelberg war ein Heiligtum der Neckar—
sueben; „es gereicht mir zu besonderer Genugtuung“, schreibt
Karl Sangemeister (Der obergermanisch-rätische Cimes, in den
neuen Heidelberger Jahrbüchern, 1895), „nachgewiesen zu haben,
daß hier, nämlich in dem unteren Neckargebiet, von Heidelberg
108) Vgl. Rudolf Sillib, Der heilige Berg bei Heidelberg. Karlsruhe, Heimat⸗
blätter, 1920.
Der Lanzenschwinger und Seelenführer