Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

202 Der Lanzenschwinger und Seelenführer 
Leichtigkeit und Beweglichkeit der Seele ist der Vogel ein passendes 
Sinnbild“ (Martin P. Nilsson-Cund, Primitive Religion). 
Die wilde Jagd ist der von Wodan geführte Zug der Seelen. 
In den beiden Säulenköpfen des Franziskanerklosters auf dem 
Michelsberg tritt die heidnische Vorstellung des Seelenzugs, die 
wilde Jagd, unmittelbar neben und in Verbindung mit der Vor— 
stellung von den in Taubengestalt dem Körper entflohenen und sich 
dem Erzengel Michael empfehlenden Seelen. 
Die Gegenüberstellung aber soll dem Ungläubigen oder im 
Heidentum Verstockten vor Augen führen, wie es ihm nach dem 
Tode gehen wird, wenn er in der Verstocktheit beharrt; daß seine 
Seele dann im Gefolge des wilden Heers ruhelos in Sturmnächten 
durch die CLüfte fahren muß mit den Schreckgestalten von Wodans 
Gefolge und schließlich von dem Hirsche geführt in die Hölle; 
wie am Tor von Sankt ZFeno in Verona nach ausdrücklicher Bei— 
chrift der Hirsch den arianischen Ketzerkönig Theoderich in die Hölle 
führt. Wer aber dem heiligen Michael sich empfiehlt, dessen Seele 
wird wie eine sanfte Taube zum Paradiese eingehen (s. Abb. 
auf 5. 20). 
Am Tage des Jüngsten Gerichts wägt der Lanzenschwinger, 
der reisige Michael, dessen Bild im Reichsbanner den deutschen 
heerhaufen voranweht, die Seelen; schickt die Gerechten in den 
himmel und stößt die Falschen zur Hölle; wie es unser Oden— 
wälder CLandsmann Hans Memling so eindrucksam geschildert hat 
auf dem Bilde des Jüngsten Gerichts, das in der Marienkirche zu 
Danzig hängt als ein Wahrzeichen deutscher Kunst.
	        
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