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Sonnenverehrung
dern, zum Teil bis auf unsere Zeit, ein zimmerndes Volk waren,
da sie ja erst von den Welschen die Maurerei erlernten, wie Volks—
sitte und Sprachgeschichte der Fachausdrücke lehren“ (A. Höfler,
Wald- und Baumkulte S. 10). 119)
Das steinerne Flachbild der Sonnenanbetung an der Spitals⸗
kirche in Tübingen könnte natürlich an sich auch herrühren aus der
vorgermanischen, keltischen Zeit dieser Gegenden. Es erinnert in der
künstlerischen Art etwas an die später zu besprechenden Emmetzheimer
Bildhauereien. Es hat wie diese etwas vom Besonderen der Stein—
arbeit, während die ganz frühen Bildhauereien deutscher Herkunft
etwas von Holzarbeit haben, auch wenn sie in Stein ausgeführt
sind. Anderseits aber zeigt das Tübinger Flachbild keine merkliche
Beeinflussung von der römischen Kunstweise her. Diese Unbeein—
flußtheit von römischer Kunstweise deutet nun immerhin eher auf
die neu, nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs in der
Wanderungszeit hierher gekommenen deutschen Ansiedler, als auf
die älteren, jahrhundertelang unter römischem Einfluß gewesenen
keltischen oder keltoromanischen Bewohner dieser Gegenden. Vor
allem zwei Umstände scheinen mir für die alemannische Herkunft zu
prechen oder vielmehr diese zu beweisen. Erstens daß die offenbar
zusammenhängenden Bildhauereien an der Tübinger Spitalkirche
dort so sorgfältig und verteilt angebracht sind bei der Aufführung
dieser gotischen Kirche. Dem kirchlichen Bauherrn, der das anord—
nete, muß die heidnische Bedeutung dieser Bilder noch bekannt ge—
wesen und als bekämpfenswert erschienen sein. Und die Bodenständig—
keit dieses Sonnendienstes wird bewiesen durch das Murrhardter
Flachbild; dieses erweist nämlich, daß „der Sonnengott, der echte
Gott der nordischen Völker“ (Otto Hauser, Geschichte des Juden—
tum 5. 20) damals unter den Abkömmlingen der Semnomen
noch nicht vergessen war und von der Kirche bekämpft werden mußte.
Von den alten Germanen ist uns der Sonnendienst noch aus geschicht—
iuo) „Das deutsche Steildach und die Lust am gruppierten Bau sind Rassen—
merkmale eines holzbauenden Volkes“; Heinr. Bergner, Besprechung von Haupt,
Baukunst der Germanen im Korresp.⸗Bl. d. dtsch. Gesch. u. Altert.Ver. 1909. Die
Fachausdrücke des Holzbaues sind, nebenbei bemerkt, im Gegensatz zu denen des
Steinbaues alle deutscher Abstammung. Hier kann man allerdings aus der Sprach—
zeschichte gewisse Schlüsse ziehen. Aus der Sprachgeschichte ergibt sich auch, daß die
SGermanen Schrift und Buchstabenkenntnis nicht erst von den Römern gelernt haben.
„Alle auf das Schreiben sich beziehenden Ausdrücke der germanischen Sprache, wie
z. B. Buch, Buchstabe sind nicht entlehnt, sondern ureigenes Sprachgut; das Wort
schreiben“ wurde erst später mit der lateinischen Schrift herübergenommen und hat
das Gebiet der englischen Sprache nicht erobert.“ Ludwig Wilser, Zur Runenkunde,
5. — Das englische to write gibt noch das alte ritzen wieder; ritzen der Buchstaben
in Bolz.