230
Sonnenverehrung
daß diesem Alemannen die Verehrung der alten Mächte, wenn auch
vielleicht nur noch als böser, aber doch zu fürchtender Geister, mehr
am Herzen gelegen hat, als der Dienst des „hethitischen Kriegs- und
hirtengottes Jahve“, den ihm der fränkische Priester aufgezwungen
hatte. Was ging diesen Alemannen am Spitzbergabhang die Stam—
mesgottheit „des lästigen, unkultivierten, asiatischen Birtenvolks der
Hethiter“ (Bernhard Stade) an.
Die Verehrung der Sonne war den nordischen Völkern, für die
alles von der Sonne abhängt, die nächstliegende Form der Ehr—
furcht (religio). Und sie ist uns, wie schon erwähnt, aus geschicht—
licher Zeit durch einen zuverlässigen Zeugen, durch Cäsar, ausdrück—
lich belegt. „ßur Zahl der Götter nehmen die Germanen nur die—
jenigen, welche sie sehen und durch die sie offenbar gefördert werden;
nämlich den Sonnengott, den Feuergott (Vulkan) und die Mond—
zöttin“ (Gallischer Krieg Bd. VI Kap. 2).
„So werden die zahlreichen, einfachen Darstellungen des Son—
nenrades“ (Eugen Mogk, Germanische Mythologie) „verständlich,
die wir in jenen Felsenzeichnungen des standinavischen Nordens aus
grauer Vorzeit finden. Das Bild war die Sonne, die der Zeichner
durch Nachahmung in den Bannmkreis seines Willens zog; fest und
unerschütterlich ist dieser Glaube allen germanischen Stämmen ge—
wesen. Das weitverbreitete Scheibenwerfen, das Anzünden des
Sonnenrads im Vorfrühling, sind die letzten Reste jenes primitiven
Glaubens und Rultus, durch den man beim Erwachen der Natur
der Sonne gleichsam zu Hilfe kam.“ 120)
„Her“‘' ward zum Heiland, das Radkreuz zum hohen Richtkreuz
und der Stier zum Camm; die alten Heiligtümer wurden christliche
Tempel; abgewandelt lebte die ganze Sonnenreligion fort und war
systematisiert bis ins späte Mittelalter“ (Professor Hermann Schnei—
1207 „Uns Erdenbewohnern in dieser Sonnenwelt und unter dem wandernden
Mond ist überhaupt keine andere Religion angemessen“, schreibt der gut katholische
Joh. Nep. Sepp, Prof. in München, in seiner Schrift Frankfurt, Das alte Askiburg,
5. 64. Das ist nun freilich wohl nicht richtig; eine solche Ehrfurchtsform gäbe
höchstens die eine Hälfte; das eine von den zwei großen Wundern nach Kant; der
gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Das erste, die Einsicht
in die Gesetzmäßigkeit des Naturgeschehens und daß vor diesem das einzelne Ich
nichts ist als ein winziges Glied in der Kette, hat zwar auch eine gewisse Ehrfurcht
weckende, d. h. dem Ich aus seiner Ichbegrenztheit heraushelfende, erziehliche, religiöse
Bedeutung. Aber diese zermalmende Erkenntnis bedarf des Gegengewichts in der
Erkenntnis von der sittlichen Freiheit; daß dieses, nach außen so kümmerliche Ich,
wollen kann; daß es sich entgegensetzen kann dem Drang des Naturtriebs; daß es
frei ist. „Von der Gewalt, die alle Menschen bindet, befreit der Mensch sich, der sich
überwindet.“ Das ist die höchste religiöse Wahrheit: c'est plus fort qne moi, ist die
eigentliche Verneinung; was der Teufel, was der Entkrist“ dem armen Mencschlein rät.