Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Heidenkirchlein 
bedeutend — hat der Künstler offenbar nur vorgenommen, weil ihm 
irgendein Vorbild vorschwebte. Das heißt: der Rünstler hatte ein 
Keilschnittgewölbe vor Augen, verstand aber dessen Herstellung nicht 
mehr und ahmte es deshalb äußerlich nach. Wenn diese Erklärung 
zutrifft, so würde das ebenfalls auf nachrömische, aber ganz früh 
mittelalterliche Zeit deuten. 
Paul Clemen sieht bei einer Reihe von bildhauerischen Arbeiten, 
die er dem Anfang des 9. Jahrhunderts zuschreibt, aus Ingelheim, 
Sauerschwabenheim (in Rheinhessen), Bierstatt bei Wiesbaden MPaul 
Clemen, Merowingische und karolingische Plastik, S. 107) das Kenn-— 
zeichnende in „der durchaus flachen Behandlung, die jeder Modellie— 
rung entbehrt; sie kennt nur zwei Ebenen und die kantige Beraus— 
arbeitung des Grundes“. 
In den Bonner Jahrbüchern 1880, 5. U4, beschreibt Friedrich 
Schneider „ein höchst altertümliches Steinrelief der Apostel Petrus 
und Paulus beim Petersbrunnen“, an einer Kreuzung des alten 
Wegs nach Bierstadt nördlich von Kastel bei Mainz. Der Grund sei 
eingetieft, so daß das Relief „über die Fläche der Platte selbst gar 
nicht hervortrete, eine Art der Behandlung, die in dieser Form sehr 
altertümlich erscheint“ (vgl. dazu auch Max Georg Zimmermann, 
Die Spuren der Langobarden in der ital. Plastik, 1894). Petrus trägt 
einen mächtigen Schlüssel mit rautenförmigem Griff, Paulus ein 
kurzes breites Schwert; die Flur heißt Petersberg. 
Die oben erwähnten Steinbildnereien von Dunningen und Bie— 
tenhausen weisen dieses Kennzeichen ebenfalls auf. Dieses Merkmal 
der künstlerischen Art ist als solches sehr deutlich und einwandfrei: 
im Gegensatz zu manchen stilistischen Merkmalen, mit denen die Kunst— 
geschichte arbeitet. Solche Merkzeichen sind zuweilen sehr stark von 
dem künstlerischen So⸗oder-sor⸗empfinden des Betrachters abhängig 
and deshalb wissenschaftlich wenig brauchbar. Dieses Merkmal 
dagegen des nur in zwei Flächen sich bewegenden Flachbildes ist 
an sich sehr scharf. Eine andere Frage ist es, ob diese Art der künst— 
lerischen Behandlung wirklich auf eine bestimmte Zeit festgelegt wer— 
den kann. Dagegen kann man noch nicht ausschlaggebend einwenden, 
daß es vielleicht auch einmal zu nachweislich sehr viel späterer Zeit 
noch gefunden wird. Auch in der künstlerischen Art eines Volks gibt 
es natürlich Rückschläge in frühere Formen. In Gegenden, die von 
dem jeweiligen Hauptkulturstrom weit abliegen, findet man öfters 
Kunstformen, die durch ihre Urtümlichkeit zunächst ein sehr viel 
höheres Alter vortäuschen als das Stück tatsächlich hat; wie die 
erhaltenen Bauerntrachten unserer Tage die Städterkleidung des 
achtzehnten Jahrhunderts spiegeln. Hier bei diesen Flachbildern in
	        
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