Heidenkirchlein
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und hat dort sicher auch die gleiche Ursache. Nämlich die christ—
lichen Glaubensboten wollten fehr begreiflicherweise das Kirchlein
zuerst unten im Ort erbauen, da das sehr viel bequemer war,
sowohl für sie selbst wie für ihre Pfarrkinder, und da ihnen ja
der Berg als solcher nichts sagte. Sie merkten aber, daß das Volk
an der alten Stätte hing und zogen deshalb vor, die Weisung
Gregors des Großen zu befolgen; die alte Stätte lieber zu ver—
hristlichen, statt eine neue in einen schwierigen Wettbewerb zu
setzen. Vielleicht haben sogar die Bauern nächtens die Steine wieder
dinaufgetragen, um ihren Willen durchzusetzen, daß das Beiligtum
auf dem Berge bleibe.
Unten im Tal, im Bezirke des früheren Klosters, steht eine
Mittelpunktskirche, erbaut von Balthasar Neumann 1780. In diesem
Sau befindet sich eingemauert ein sehr viel älteres Flachbild aus
Stein; nach Dehio aus dem 12. Jahrhundert; oben der Kopf eines
Heiligen, der ebenso wie die Umrahmung sicher später hinzugefügt
ist (so auch Dehio). In der oberen Hälfte des alten Teils ein
Reiter, der als Christus auf dem Esel gedeutet wird. Es fehlt
aber jede Andeutung der Zuschauermenge, die sonst regelmäßig
den Einzug in Jerusalem kennzeichnet, und das Reittier ist nach
den Ohren keineswegs ein Esel sondern ein Pferd. Der Reiter
trägt einen flatternden Mantel. Darunter findet sich eine Dar—
stellung, die Dehio als „Gottvater mit dem Einhorn“ bezeichnet;
er macht aber selbst den Zusatz: „ikonographische Idee nicht recht
oerständlich“. Dieser angebliche Gottvater hat eine Pelzmütze auf,
trägt einen langen Bart und hält in den Armen ein Tier mit nach
rückwärts gebogenen Hörnern (das Einhorn hat meines Wissens
stets ein gerades Horn, und dieses auf der Stirn; dieses Gehörn
hier ist ganz regelmäßig angewachsen wie einem Geißbock); das
Tier hat einen langen Schwanz. Ich vermute — will es aber
freilich nur als Vermutung aussprechen —, daß auf diesem Stein
heidnische Dämonen dargestellt sind; damals nicht mehr als Ver—
ehrungsbilder, sondern um sie zu bannen und unschädlich zu machen.
Daß man dabei einen gewissen Anklang an christliche Gegenstände
der Darstellung suchte, würde ganz übereinstimmen mit Beobach⸗
tungen an anderen Orten; man fürchtet sich, die Dämonen un—
mittelbar zu bezeichnen. Der Reiter im flatternden Mantel würde
dann Wodan vorstellen, der sicher früher auf dem Berge der
Michaelskirche dicht dabei, von der die oben berichtete Sage geht,
gehaust hat. Der Bärtige in der Pelzmütze mit dem bockähnlichen
teufelsgeschwänzten Fabelwesen im Arm würde Donar bedeuten.
Entschieden bestärkt wird diese Vermutung dadurch, daß eine spätere
Jung, Germanische Götter und Belden. 10