Sage und Sitte
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„Die Holedauer Schimmel stammen von den alten Götterrossen
ab, da man diesen zu Ehren nur weiße Pferde züchtete“ (Joh. Nep.
Sepp, Die Religion der alten Deutschen und ihr Fortbestand, 5. 197).
Diese Hinweise sind hier nur zufällig zusammengetragen, da
sie für den unmittelbaren Zweck dieser Untersuchungen nur Erläute—
rungen bieten. Eine nähere Erforschung und vorsichtige Prüfung
olcher in Überlieferung und Volksleben bestehenden Urkunden könnte
nach vielen Richtungen wichtige wissenschaftliche Ergebnisse zeitigen.
Die Grabhügel von Seddin und Peccatel müssen vor der
slawischen Besetzung liegen. Die richtige Überlieferung hätte also
ebenso wie in Silchester einen zweimaligen Bevölkerungswechsel
dieser Gegenden überdauert; nämlich die Abwanderung der Ger—
manen und die Besetzung durch die Slawen; und die spätere Wieder—
perdrängung der Slawen durch die Germanen. E— ist aber nicht
nöglich, daß eine mündliche Überlieferung sich ohne lebende Traäger
erhält. In einem Vortrag vor der Anthropologenversammlung
886 in Stettin (Bonner Jahrbücher, Bd. 82) berichtet Dr. Jahn
aus Pommern, daß der Volksaberglaube dort noch aus dem ger⸗
manischen Altertum stamme und durch die spätere slawische Ein—
wanderung wenig verändert sei. Ist nicht aus diesen Tatsachen
zu folgern, daß in beiden Fällen der Wechsel der Bevölkerung in
den Unterschichten nicht so gründlich war als man annimmt und
daß mehr nur die Herrnschicht wechselte. Die Sprache scheint, wie
das trotz der welschen Sprache immer noch in den Unterschichten
wesentlich germanische Nordfrankreich dartut, verhältnismäßig be—
weglich zu sein, und daher nicht entscheidend. In seinen acker—
geschichtlichen Studien über Sizilien hat Aug. von Waltershausen
nachgewiesen, daß trotz des vielfachen Wechsels der herrschenden
Schichten in Sizilien, nämlich der Griechen, Karthager, Römer,
Kormannen, Deutschen, Franzosen (Anjou) usw. die sikulische Unter—
schicht immer die gleiche geblieben ist.
Ausgrabungen an der Via Appia (Seemannsche Kunstchronik
Nr. 52, 1920) haben erwiesen, daß eine uralte Überlieferung über
die Gräber der Apostel wahrscheinlich richtig war; „vor allem darf
man wieder einmal feststellen, daß man die alten Überlieferungen
nicht so leicht vernachlässigen soll“. Professor Wossidlo will die
Forschung nach der berühmten alten Wendenstätte Rethra ganz auf
die im Volksmunde noch lebende überlieferung aufbauen (LKorre⸗
pondenzblatt d. dtsch. Gesch. u. Altert.Ver. 1909).
„Wo ferne Ereignisse verloren gegangen wären im Dunkel
der Zeit, da bindet sich die Sage mit ihnen und weiß einen Teil
davon zu hegen“ (Jakob Grimm''.