Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Die heraldische Lilie 
bildetes Zeichen und hier in besonderer Weise; umgebogen an einer 
Stelle, an einer anderen gekreuzt mit dem gleichen Zeichen. 
Das ist sicher so zu verstehen, daß dieses Zeichen noch als feind⸗ 
lich, dämonisch empfuͤnden wurde und auf diese Weise unschädlich 
gemacht werden sollte (vgl. oben Abschnitt 2). Es wurde auf die 
Möglichkeit hingewiesen, daß das Zeichen dort mit der Rune des 
Schwertes und Schwertgottes zusammenhängt; dort, wo aller Wahr⸗ 
scheinlichkeit nach ein Heiligtum des Ziu bestand; wo sich Denkmäler 
erhalten haben (an der Spitalskirche in Tübingen, vgl. oben Ab— 
schnitt 20), die das Bestehen vorchristlicher Sonnenverehrung an 
dieser Stelle beweisen. 
Siu war der ältere Hauptgott der Germanen, besonders der 
Alemannen, und als solcher, bevor ihn Wodan aus dieser Stelle 
als Himmelsgott verdrängte, auch Sonnengott. 
Daß das Zeichen der ineinander sitzenden Kreise, des Kreises 
und Rades überhaupt ein Sinnbild der Sonne war, ist sicher. Daß 
die sogenannte heilige Kunigunde von Burgerroth eine einheimische 
oorchristliche Göttin auf der einsamen Kuppe verdrängen sollte und 
daß die Erbauer des Kirchleins bewußt dieses Siel verfolgten, halte 
ich auch für sicher. 
„Es ist sehr auffallend, wie gerade im Elsaß“, schreibt der An— 
zeiger für elsässische Altertumskunde, 1917, 5. 8II, „das Sonnenrad 
auf romanischen Türstürzen und Grabplatten verhältnismäßig häufig 
wiederkehrt.“ „Früh tritt auch neben das Rad und das Kreuzmotiv 
oder an dessen Stelle die Lilie.“ „Wie das Kreuz ... in annähern⸗ 
der Gestalt bereits in vorchristlicher Zeit als religiöses Symbol auf⸗ 
tritt, läßt sich die Cilie schon in Agypten und bei den Etruskern als 
heiliges Zeichen nachweisen.“ 
An der Kirche in Tiefenort findet sich ein früher, sicher romani— 
scher, wenn nicht vorromanischer Türsturz (Abbildung in Bau— und 
Kunstdenkmäler Thüringens, Heft 37 5. 61, Verlag Gustav Fischer); 
in der Mitte das Kreuz, auf einer kleinen gewölbten Erhöhung 
aufgerichtet; links und rechts davon je zwei Lilien oder auch Stau— 
den; sie enthalten noch Zwischenblätter zwischen dem aufrecht stehenden 
SBlatt und den Seitenblättern; diese Zwischenblätter sind verschieden 
stark ausgebildet, so daß zwei der Lilien wie mehrblättrige Stauden 
aussehen. Der Ort hieß früher Dieffeshart; oder vielmehr er heißt 
mündlich noch so; Tiefenort ist eine „Sprachverschönerung“ (s. 5. 38) 
der Schreibstube. Hart ist das alte Wort für Waldgebirge (GHarz, die 
Hardt, silva Hercynia). Der Name des Orts könnte also sehr wohl 
einen dem Tiu geweihten Wald bedeuten. Die Kerzen oder CLilien, 
die neben das Kreuz gestellt sind, haben ganz sicher eine bestimmte
	        
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